
© Carolin Weinkopf
Buchvorstellung in Potsdam: Vier Jahre mit Greta
Mareice Kaiser hat ein Buch über das Leben mit ihrer behinderten Tochter geschrieben. Im April liest sie in Potsdam.
Stand:
Es gibt Dinge, die konnte sich auch Mareice Kaiser nicht vorstellen. Zum Beispiel, dass es ein Halbtagsjob sein kann, Anträge und Widersprüche an die Krankenkasse zu verfassen. „Ich dachte, wer in unserem Land etwas wirklich braucht, der bekommt es“, sagt Mareice Kaiser. Aber dann wurde ihre erste Tochter geboren, Greta, schwerst mehrfachbehindert. Der Familienalltag spielte sich plötzlich zu großen Teilen zwischen Krankenhaus, Kinderarzt und Therapieterminen ab, ein Vollzeitjob für Mutter und Vater und teilweise Pflegepersonal. Dass es zusätzlich so viel Zeit und Kraft kosten würde, um die ihnen zustehenden Hilfen und Hilfsmittel zu kämpfen, das hatte sie nie gedacht.
Jetzt steht auch das in ihrem Buch „Alles inklusive. Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter“, erschienen im Fischer-Verlag. Im Kapitel „Bittstellerin, lebenslänglich“ schreibt sie über Momente, in denen sie über den Krankenkassentelefonjingle „Besser geht’s nicht, schau nur hin“, nicht mal mehr lachen konnte.
Lesung in Potsdam am 4. April
Natürlich war das Leben mit ihrer Tochter und später zwei Kindern nicht nur anstrengend, sondern auch ganz normal. Mit den normalen Stress- und Glücksmomenten, dem Wahnsinn zwischen Kinderkacke und Tanzstunde, den alle Eltern kennen. Auch darum soll es in dem Buch gehen, sagt die Autorin. „Ich bin sehr dankbar, von ihr, Greta, erzählen zu dürfen.“ Am 4. April ist die Berliner Autorin und Journalistin Mareice Kaiser in Potsdam zu Gast und liest aus ihrem Buch über vier Jahre mit Greta vor.
Sie berührt damit gleich zwei Tabuzonen. Menschen reden nicht gerne über das Thema Behinderung und über Tod und Trauer, sagt sie. Und eigentlich sollte es ein Buch über das Leben werden. Dann aber verstarb die damals vierjährige Greta überraschend, eine Woche nachdem das letzte Kapitel geschrieben war, das Grand Finale, die berührende Utopie eines Familienlebens an einem Tag im Jahr 2024. Und so schrieb Mareice Kaiser noch ein Nachwort über den Abschied von ihrer ersten, großen Tochter.
Plötzlich ist alles anders
An dem Punkt ist der Leser mit der Familie vier Jahre durch den Alltag gegangen. Kaiser schreibt mit klaren, offenen Worten über den Prozess, das Hineinschlittern in diese Ausnahmesituation. Plötzlich ist alles anders. Sie und ihr Mann sind so vieles: Eltern, aber eben auch Pflegepersonal, medizinische Experten, Therapeuten. Und irgendwie auch noch ein Paar. Kaiser schreibt über ganz sachliche Dinge, Medizinisches, Organisatorisches, und dann über diese ganz einfache Liebe zu ihrem Kind. Das zwar behindert ist, aber noch viel mehr. Das Wort „behindert“ findet Kaiser nicht schlimm. Wenn es so ist, muss man das auch benennen dürfen. „Aber es ist ein Merkmal von vielen“, sagt sie. In ihrem Lieblingskapitel beschreibt sie einen Perspektivwechsel: Eine Pflegerin spricht Gebärdensprache und Mareice Kaiser fühlt sich plötzlich selbst behindert.
Auch das Buch soll zum Perspektivwechsel einladen. Soll helfen, Ängste abzubauen – auf beiden Seiten. Sie kennt die Unsicherheiten anderer Menschen, wenn es um behinderte Kinder geht, schreibt aber auch über Momente, in denen Menschen völlig unkompliziert auf sie zukommen. In denen ein Topf Suppe mehr hilft als der Hundertste gut gemeinte Ratschlag. Sie schreibt über taktlose Ärzte, die selbst überfordert scheinen, über Leiterinnen von Integrationskitas, die sich vor Greta fürchten. Wenn Deutschland wirklich Inklusion will, sagt Kaiser, dann muss sich noch sehr viel ändern. „So wie es jetzt ist, werden ja nicht nur die behinderten Menschen, sondern ganze Familien ausgegrenzt.“ Als sie, die Mutter eines behinderten Kindes, in ihren Beruf zurück wollte, verstanden das viele nicht. Sie habe nur Absagen auf ihre Bewerbungen bekommen und schließlich zunächst als freie Autorin gearbeitet. Und dieses Buch geschrieben.
Lesung am Dienstag, dem 4. April, um 19 Uhr in der Oberlinkirche, Rudolf-Breitscheid-Straße 24. Der Eintritt ist frei.
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