Homepage: Vier Wochen im Dunkeln
Das Programm für das „Sehsüchte“-Festival steht fest. Fünf HFF-Studenten haben sich dafür 1000 Filme angesehen.
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Das Programm für das „Sehsüchte“-Festival steht fest. Fünf HFF-Studenten haben sich dafür 1000 Filme angesehen. Von Marion Hartig Angefangen hat alles vor vier Wochen. Sie haben sich in den Kinosaal in der HFF verzogen und die Welt hinter sich gelassen. Mit Weintrauben, Kaffee, Cola und Kleingeld für Twix aus dem Automaten im Erdgeschoss. Was draußen passierte, den Anschlag in Madrid, haben sie kaum mitbekommen. Filme all over. Von morgens bis abends. Man muss ihnen jeden Satz aus der Nase ziehen. Sie sind müde, haben keine große Lust mehr, über Filme zu Reden. 1000 haben sie sich insgesamt angesehen, eingesendet von Studenten und Amateuren aus dem In- und Ausland. Das HFF-Team für die Programmauswahl des 33. Internationalen Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“, das Ende April in Potsdam stattfindet, kann nicht mehr. Noch ein paar Stunden, dann sind die beiden Steffis, Daniel, Florian und Jörn endlich durch. „Es ist eine Ehre, in der Filmauswahl für das Programm zu sitzen“, erzählt Steffi mit dem blonden Zopf und der bequemen Taschenhose. Sie hockt auf einer Bank im hellen Treppenhaus. Endlich Licht, langsam wird sie lebendig. Fünf Studenten der AV-Medienwissenschaften wird diese Ehre in jedem Jahr zu Teil. Mindestens einmal, gewöhnlich im ersten Studienjahr, muss jeder Student beim Festival mitmachen: Organisation, Öffentlichkeitsarbeit – oder eben Programmauswahl. Die insgesamt elf AV-Medien-Studenten haben „ausdiskutiert“, wer was macht. Jörn ist im zweiten Studienjahr und zum zweiten Mal dabei. Es würde nicht laufen, ohne die alten Hasen, sagt er. Er weiß, was abgeht auf einem Festival, bei dem, wie in diese Jahr, rund 120 Filme auf dem Programm stehen, im Wettbewerb um Preise im Gesamtwert von 30 000 Euro. Wieder drin im Kinosaal machen es sich alle auf den gelben Sesseln bequem. Das Licht geht aus. Auf der Leinwand liegt ein Mann. Blut läuft aus seinem Kopf über den Bürgersteig. Passanten kommen und gehen, schließlich ein Polizist, ein Krankenwagen. Die Stand-Kamera ist in Autoreifenhöhe aufgebaut. Körper und Gesichter sind von untern her abgeschnitten. Sprechen ist nur als fernes Murmeln zu hören. Autos fahren vorüber, bremsen, fahren an. Ein Radio dröhnt. „Inspiration Henri Cartier-Bresson“ steht im Abspann. „Nimmst Du?“, fragt Steffi mit dem Ordner auf dem Schoß. „Okay“, kommt es aus dem Halbdunkel zurück. Animationsfilme sind in diesem Jahr auf dem Vormarsch, erzählt das Team. Und Toiletten. Viele der Filmgeschichten spielen auf dem stillen Örtchen, der Mensch werde dort quasi auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Realistische Filmgeschichten sind es denn auch, die die Einreicher in Kurz- oder Langversionen erzählen. Fantasy und Science Fiction sind out, persönliche Schicksale in. Große Politik wird anhand kleiner Familien- oder Freundschaftsgeschichten erzählt. Und weiter geht es. Mit „Bitte nicht stören“, einem HFF-Film. Eine perfekt gestylte Hotelfrau streicht zu klassischen Klängen Kopfkissen glatt. „Nicht so überragend“, meint Daniel. Florian sieht das ganz anders „Rhythmus, Kamera und Schnitt sind toll“, sagt er. Tonlos. In Stichworten. Die Zeit der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen sind vorbei. Von guter Qualität, originell und abwechslungsreich sollen die Filme seien, darauf einigten sich die Studenten am Anfang. Das Netz ist sehr großmaschig, haben sie inzwischen festgestellt. Nur sehr selten, bei totalen Nieten oder absoluten Highlights ist das Team einer Meinung. Filme im Mittelfeld spalten die Geister. Manche Beiträge mussten zweimal durch den Probelauf, bis sie entweder drin waren oder wieder auf dem Heimweg zum Absender. „Hunger“, stöhnt es von hinten. Steffi mit den dunklen Haaren wartet noch mit dem Filmnachschub. Auf Pizza, das Hauptnahrungsmittel der letzten Wochen, hat keiner mehr wirklich Appetit. Leeres Twix-Papier liegt herum, die Weintrauben sind alle. Jemand schickt eine Brottüte, Meerrettichkäse und ein Messer durch die Reihen. Eine Chipstüte knistert. Noch vier Filme.
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