Homepage: Visionen sind gefordert
Diskurs über Zukunft der Jüdischen Studien
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Irgendwie kommt keine Ruhe rein. Die Jüdischen Studien an der Universität Potsdam bleiben offensichtlich auch nach der Institutsgründung (PNN berichteten) ein Problemkind. Einst als interdisziplinärer Studiengang zwischen den Fakultäten mit viel Applaus aus den Feuilletons 1994/95 gegründet, scheint die Vielfältigkeit des nun zum Institut erhobenen Fachs nach wie vor bedroht. Auf einer Podiumsdiskussion am Mittwoch wollte man sich zum Semesterende an der Uni nun den Stand der Dinge vergegenwärtigen.
Unterm Strich kam dabei heraus, dass durch das neue, europaweite Studiensystem des Bachelor die Dozenten so stark belastet sind, dass es zum Problem wird, Kapazitäten für die Jüdischen Studien zur Verfügung zu stellen. Problematisch erweise sich hierbei, so war zu hören, dass das neue Institut über keinen eigenen Etat für Lehrbeauftragte verfüge. Andererseits soll ja gerade die vielbeschworene Multi-Disziplinarität dadurch zustande kommen, dass auch aus anderen Bereichen – etwa der Politikwissenschaft mit Veranstaltungen zu Israel – die Jüdischen Studien bereichert werden.
Bei der Diskussion wurde vor allem gegenwärtig, dass nun, nach Institutsgründung, klare Visionen und Vorstellungen noch fehlen. Der ehemalige, nun emeritierte Gründungsvater Prof. Karl Erich Grözinger mahnte gar Utopien an. So falle der für das Studienfach so grundlegende Bereich Osteuropa – 80 Prozent des heutigen Judentums stammt von dort – nun mit dem Weggang von Gastprofessor François Guesnet in Potsdam weg. „Hier hätte es einer finanziellen Verstetigung durch die Universität bedurft“, sagte der Religionswissenschaftler. Hinzu kommt das Gegenwartsbild von Israel und die Antisemitismusforschung, auch dies, wie mehrere Diskutanten betonten, zwei für die Beschäftigung mit dem Judentum essentielle Bereiche, die in Potsdam zu kurz kämen.
Doch die Debatte verlagerte sich im Folgenden eher auf einen Nebenschauplatz, der Option, die Lehre in englischer Sprache zu halten. Dies, von der Unileitung und der Philosophischen Fakultät ins Gespräch gebracht, stieß sowohl bei Studierenden als auch den ehemaligen Gründungsvätern auf Missbilligung. „Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir unsere eigene Sprache als Wissenschaftssprache vernachlässigen“, mahnte Grözinger. Gerade auch für israelische Studierende sei es eine Chance, Deutsch zu lernen und damit die Quellen des deutschen Judentums studieren zu können.
Hintergrund der Idee ist allerdings etwas anderes. Durch das Bachelor-Studium nehme die Zahl der Studierenden in den Jüdischen Studien ab. Um dem entgegenzuwirken, erklärte Uni-Präsidentin Sabine Kunst, wolle man englischsprachige Lehrveranstaltungen anbieten. „Mit einem Masterangebot in Englisch können wir auch eine ganz andere Klientel befördern“, so Kunst. Ein Angebot, das nach den Worten von Prof. Christoph Schulte auch Studierende aus Frankreich, Skandinavien oder Osteuropa anziehen könnte, wo es keinen Masterstudiengang Jüdische Studien gebe. So soll das Studienangebot international attraktiver werden.
Zuvor hatte Präsidentin Kunst noch einmal die Gründung des neuen Instituts verteidigt. Man habe einen eindeutigen Anlaufpunkt für die Studierenden schaffen wollen. Das Bekenntnis der Philosophischen Fakultät zu den Jüdischen Studien sei eindeutig, die Entwicklung von „systematischer Interdisziplinarität“ das Ziel. „Doch die Finanzlage der Universität hat sich nicht dramatisch verbessert“, erinnerte Kunst. Man bemühe sich um den Erhalt der Mindestausstattung. „Aber ein schlagartiger Umschwung ist nicht in Sicht“. Gemeint waren die von den Studierenden bemängelten Probleme des Hebräisch-Unterrichts und der Bibliotheken.
Am Ende einer langen Debatte blieb der Eindruck der Lückenhaftigkeit des einstigen geisteswissenschaftlichen Flagschiffs der Uni Potsdam. Das exzellente Graduiertenkolleg Makom, in dem Doktoranden ausgebildet wurden – Vergangenheit. Der Hebräisch-Unterricht, die Grundlage jeglicher Jüdischen Studien – laut Uni-Leitung nur in der Grundausstattung zu haben. Die aufgekauften und gestifteten Bibliotheken – bleiben in Kisten, weil Gelder fehlen. Es fehlt wohl an einem tragfähigen Etat, vor allem aber auch an klaren Vorstellungen, wo es hingehen soll.
Bleibt zu hoffen, dass die Nachfolger der Gründungsväter Prof. Julius H. Schoeps und Prof. Karl E. Grözinger das Heft in die Hand nehmen werden. Die Stelle von Grözinger ist, wie gestern bekannt wurde, nun neu besetzt worden. Seine Nachfolgerin wird Francesca Yardenit Albertini, eine aus Italien stammende Jüdin mit dem Schwerpunkt Jüdische Philosophie.
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