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Noch oft in Europa unterwegs: Charlotte Lux aus Potsdam.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Volkslieder gegen Einsamkeit

Einmal im Jahr treffen sich Potsdams Hundertjährige. Viele sind noch erstaunlich selbstständig

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Als Charlotte Lux hört, dass Journalisten anwesend sind, muss sie gleich etwas loswerden. Ihre Zeitung sei heute nicht gekommen. „Vor zwei Wochen stand dort eine Anzeige zu meinem Geburtstag drin. Am 13. September bin ich 100 Jahre alt geworden“, sagt sie. Charlotte Lux, „Lux wie das Licht oder die Seife“, hübsch zurechtgemacht im Kostüm, ist Ehrengast beim Treffen der über Hundertjährigen, das am gestrigen Dienstag im Pflegeheim Katharina in der Leiblstraße stattfand. Eingeladen wurden alle Potsdamer ab 100 Jahre oder knapp darunter, so genau wollte man es nicht nehmen, sagt Organisatorin Gisela Gehrmann vom Verein Schickes Altern. Etwa 30 Bürger müsste es in diesem Alter in Potsdam geben, schätzt Gehrmann. Die genaue Zahl kenne sie nicht, weil die Stadt natürlich keine Adressen herausgeben darf. „Wir schicken unsere Einladungen an Pflegeheime und ambulante Pflegedienste, aber wenn jemand noch sehr selbstständig ist und allein wohnt, wissen wir nicht immer von ihm.“

Von Charlotte Lux wussten sie trotzdem, obwohl sie noch allein lebt. „In ein Heim will ich nicht“, sagt sie bestimmt und legt die Broschüre vom Haus Katharina höflich neben den Kuchenteller. Seit 1950 lebt sie in ihrem Eigenheim, zweimal im Monat kommt der Gärtner, einmal in der Woche eine Aufwartung, sagt sie. Geboren ist sie in Berlin, arbeitete viele Jahre bei Telefunken, als Vorzimmerdame beim Chef. Einmal durfte sie sogar auf Dienstreise mit nach Neapel, schwärmt sie. Das Reisen hat sie in den letzten Jahren, nach dem Tod ihres Mannes, wiederentdeckt. Sie ist viel mit dem Bus unterwegs, von Tirol bis nach Belgien. Zum Geburtstag bekam sie einen Gutschein von ihrem Reisebüro, eine Art Flatrate, die will sie noch abfahren.

Jetzt sitzt sie zwischen all den Kaffeegästen, den sieben über Hundertjährigen und sechs Gästen knapp darunter, den Angehörigen und Betreuern, bei Erdbeertorte, Kaffee und Sekt. Die Potsdamer Mundharmonika-Gruppe „Schrecklich schön“ hat eine musikalische Einlage vorbereitet, Volkslieder mit Gesang mit Mundharmonikabegleitung. Die Musiker sind vor ihrem ersten Auftritt etwas aufgeregt, aber die Liedauswahl ist genau das Richtige für die Jubilare. Ein bisschen Mitsingen und Mitklatschen kann jeder, eine Heimbewohnerin spielt plötzlich ein improvisiertes Solo und ein Herr beginnt sehr stimmungsvoll ein Lied vorzutragen.

Auch Erika Berger* hat eine Mundharmonika in der Handtasche, aber ob das gerade C-Dur ist, kann sie nicht hören. „Ich hab zwei Hörgeräte, das ist manchmal schwierig“, sagt die 95-Jährige. Berger ist mit ihrem Mann gekommen, der ist 102 Jahre alt, beiden sieht man ihr fortgeschrittenes Alter nicht an. Sie leben allein in ihrer Wohnung, noch geht das, sagt Berger. „Die Kinder helfen uns, aber sie sind ja auch nicht mehr so jung, wir wollen ihnen nicht zur Last fallen“, sagt sie. Die Nachbarn kochen für sie und fahren mit ihnen einkaufen, auch eine große Hilfe. Solche Treffen wie das der Hundertjährigen findet Erika Berger wichtig. Man muss ja mal raus, man braucht etwas Austausch. Ihr Mann hat gerade seinen Lebenslauf aufgeschrieben, einen dicken Stapel Papier, die Kinder haben es abgetippt. Er hat viel erlebt, vier Tage war er während des Krieges einmal in Russland verschüttet.

Während Erika Berger erzählt, posiert ihr Mann mit den anderen Hundertjährigen für die Fotografen, seine Frau schaut quer über die Kaffeetafel zu. Natürlich denkt sie übers Heim nach. Einmal war sie bereits Probewohnen, allein, und war froh, als sie wieder nach Hause konnte. Aber irgendwann wird es so weit sein, sagt sie. Sie hat es durchgerechnet: Zwei Zimmer kosten genau so viel wie ein Doppelzimmer. „Da können wir auch zwei nehmen, ist doch praktischer“, sagt Erika Berger und lacht. „Das Zusammenleben zwischen Mann und Frau wird im Alter ja nicht anders. Der eine kann nachts durchschlafen, der andere nicht. Dann sagen wir uns eben: Ach Schatz, heute sehen wir uns mal wieder“, sagt Erika Berger und lächelt.

Seit 1991 wird am 1. Oktober der internationale Tag der älteren Generation begangen. Deshalb wurde das Treffen in diesem Jahr auf dieses Datum gelegt – aber auch, weil sich in den vergangenen Jahren heiße Sommertage als ungünstig erwiesen hatten. Dann hatten manche Gäste das Treffen abgesagt, weil der Ausflug zu beschwerlich gewesen wäre, sagt Gisela Gehrmann. Sie ist froh, dass das Haus Katharina den Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss dafür zur Verfügung stellt und noch dazu Kaffee und Kuchen spendet. „Wir würden sehr gern auch zu uns vom Verein Schickes Altern einladen, doch die Räume in der Lindenstraße sind nicht komplett barrierefrei“, klagt Gehrmann.

Und ohne Barrierefreiheit geht es nicht. Viele der Besucher brauchen einen Rollator oder Rollstuhl. Dann sind auch solche Kaffeerunden möglich.

*Name von der Redaktion geändert

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