
© A. Klaer
PNN-Serie: Angekommen in Potsdam: Vom Bürgerkrieg eingeholt
Frdoos Al Fadel aus Syrien hat Pharmazie studiert und sucht einen Praktikumsplatz, um ihren Abschluss anerkannt zu bekommen. Warum es ihr hier so schwer gemacht wird, kann sie nicht begreifen.
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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Jeden Donnerstag stellen die PNN eine Person vor, die zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.
Es gibt ein paar Wörter, die kann Frdoos Al Fadel besonders gut aussprechen, ja geradezu im Stakkato herunterschnurren. Es sind Wörter wie Zertifikat, Genehmigung, Übersetzung, Beglaubigung. Seit vier Jahren, seit sie in Potsdam ist, dreht sich für sie alles darum. Ohne Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation kein berufliches Vorwärtskommen. Ihre ganze Existenz und die ihrer Kinder hängt davon ab. Dafür, dass die Situation so verfahren ist, ist diese Frau bemerkenswert gefasst, als sie ihre Geschichte erzählt.
Anlass für das Treffen ist eine Anzeige im Internetportal „HelpTo“. Eine Frau aus Syrien, ausgebildete Apothekerin und Doktorandin, sucht eine Praktikumsstelle in einer Apotheke. Was kann daran so schwer sein? Corinna Trusch vom Internationalen Bund, der eine Flüchtlingsberatungsstelle im ehemaligen Rechenzentrum unterhält, erklärt: Apotheker ist sozusagen ein geschützter Beruf. Um den in Deutschland ausüben zu können, muss man eine Prüfung vor der Apothekerkammer ablegen. Die wiederum sagt, man muss vorher ein Praktikum absolvieren. Aber bisher hat fast jede Apotheke dafür eine Berufserlaubnis verlangt. Die aber hat Frau Al Fadel ja noch nicht. Die Syrerin lacht traurig über die Erklärung des deutschen Sprichworts: Die Katze beißt sich in den Schwanz. Ja, so sei es. Nur eine Apotheke hätte sie genommen, störte sich aber am Kopftuch der Frau. Das nächste Problem.
"Das Kopftuch ist meine Freiheit"
Und ohne Kopftuch arbeiten? Frdoos Al Fadel schüttelt den Kopf. „Das Kopftuch ist meine Freiheit“, sagt sie. Und so, wie sie das Aussehen anderer respektiert, möchte auch sie respektiert werden. Mit Kopftuch. Das Aussehen sollte keine Rolle spielen. „Ich werde vorverurteilt“, sagt sie. Klar ist sie Muslimin. Aber das Kopftuch stehe doch nicht nur für den Islam. „Maria trug doch auch eins – es gibt kein Bild von Maria, das sie ohne Tuch zeigt“, sagt Al Fadel und lächelt verschmitzt.
Frdoos Al Fadel wird 1978 in Damaskus geboren. Ihr Vater besitzt eine kleine Buchhandlung, vier der fünf Geschwister studieren. Frdoos Al Fadel wird Apothekerin, studiert Pharmazie, forscht zum Thema pflanzliche Zuckeraustauschstoffe für Diabetiker. Sie heiratet und bekommt zwei Kinder. Nur promovieren ist unmöglich in ihrer Heimat. Die Gründe mag sie nur andeuten: Für Ja-Sager ist alles einfacher in Syrien, aber sie waren keine Ja-Sager. Also kam sie mit der Familie nach Deutschland – nicht als Flüchtling, sondern als eine Frau, die hier studieren möchte. Ein ganz normaler Vorgang, möchte man meinen. Läge da nicht ein großer Haufen wichtig aussehender Papiere vor ihr auf dem Tisch, der das Problem verbildlicht. Denn obwohl sie alle Papiere komplett dabeihat, Diplome mit eindrucksvollen Siegeln und Stempeln und durch die deutsche Botschaft in Syrien notariell beglaubigte Übersetzungen, nützt es ihr wenig. Bei all ihren Versuchen, ihre Ausbildung anerkannt zu bekommen, fehlt mal hier etwas, mal da etwas. Jede Behörde gehe anders vor, berichtet sie. Eine wollte noch ein polizeiliches Führungszeugnis aus Syrien, aus einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Wie soll sie das ranholen? Die deutsche Botschaft in Damaskus ist schon lange geschlossen. Für eine andere Behörde sollte sie ein 190 Seiten langes, in Englisch geschriebenes Curriculum des Studienganges Pharmazie übersetzen lassen. Sie fasst sich an den Kopf. Wer soll das bezahlen? „Ich dachte, Deutschland ist ein fortschrittliches Land. Und will den Menschen aus Syrien helfen“, sagt sie.
Minijob beim Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Rehbrücke
Geschafft hat sie allerdings, dass sie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Rehbrücke einen Minijob als wissenschaftliche Mitarbeiterin bekommen hat. Dabei kann sie auch für ihre Doktorarbeit forschen. Am Institut und an der Uni fühlt sie sich anerkannt. Zum Leben reicht das allerdings nicht. Denn als Nicht-Flüchtling bekommt sie keinerlei finanzielle Unterstützung vom Amt. Ihr Mann, Zahnarzt ohne Job, bekommt Geld vom Jobcenter, auch die zwei Töchter im Grundschulalter. Dazu Geld für die kleine Wohnung am Schlaatz. Es reichte gerade so für ein bescheidenes Leben.
Aber jetzt ist etwas passiert, was ihre Lage dramatisch verschlimmern könnte. Ihr Mann ist von einer Reise in den Libanon nicht zurückgekehrt. Er wollte seine Eltern besuchen, die dort im Grenzgebiet leben, bekam dafür auch Urlaub vom Jobcenter. Als sie ihn vom Flughafen abholen wollte, war er nicht da. Sie hat keinen Kontakt zu ihm und ist voller Sorge. Wo ist er? Ist er krank? Entführt? Schlimmeres? Der Bürgerkrieg hat sie hier eingeholt. „Ohne meinen Mann sind wir nicht krankenversichert, ohne ihn haben wir kein Geld“, sagt sie. Und schaut wieder auf den Berg Papier vor ihr. „Ich brauche zwei Minijobs, dann würde es gehen.“
„Ich bin eine hochqualifizierte Frau und keiner will mich“
Bis Sommer muss sie durchkommen, im Sommer möchte sie ihre Doktorarbeit abgeben. In Englisch schreibt sie über den Zusammenhang von Übergewicht und Leberfibrose. Gern würde sie danach in der Forschung arbeiten, wenn das mit der Apotheke nicht klappt. „Ich bin eine hochqualifizierte Frau und keiner will mich“, sagt sie frustriert. Manchmal überlegt sie, was sie tun würde, wenn es hier keine Lösung gibt. Zurück nach Syrien gehen? Dann lieber sich und die Töchter umbringen. Dieser schlimme Satz kommt ihr tatsächlich über die Lippen.
Dass es ihr in Deutschland so schwer gemacht wird, Fuß zu fassen, kann sie nicht begreifen. Dabei mag sie Deutschland, die Deutschen. „Ich halte mich an die Regeln. Ich will niemanden stören. Ich will hier arbeiten und zwar etwas, was ich mag. Ich habe auch Würde.“
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