Landeshauptstadt: Vom kahlen Fleck zum Ausflugsziel
Im 19. Jahrhundert wurde Hermannswerder entdeckt. Die Freibader kamen – und der Kronprinz
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Zunächst galt es, ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen. „Freibaden ging damals auch angezogen“, sagte Klaus Arlt dem Publikum im vollen Saal unterm Dach des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Der Verein Studiengemeinschaft Sanssouci hatte zum Vortrag des Stadthistorikers zur Geschichte der Potsdamer Badekultur eingeladen, ein Thema, das Mittwochabend viele Potsdamer anlockte. Wer allerdings Unsittliches oder gar pikante Details über die Anfänge der Nacktbadekultur erwartete, der irrte: Freibadekultur, so Arlt, habe mit FKK nichts zu tun. Noch Ende es 19. Jahrhunderts war das öffentliche Baden an sich in Seen und Flüssen nicht gern von der Öffentlichkeit gesehen, erste Badeanstalten eine echte Errungenschaft der Bevölkerung.
In Potsdam, wo man dem Wasser schließlich überall begegnet, entstanden erste Badestellen am Havelufer in Höhe der heutigen Türkstraße und vor allem auf Hermannswerder. Der Nordzipfel, der Tornow, gehörte den Kiezer Fischern, die dort Mitte des 19. Jahrhunderts eine Badestelle einrichteten – freilich nicht offen am Ufer, sondern als Badebecken mit zwei zur Havel führenden Kanälen. Vor allem war der Sichtschutz wichtig und vorgeschrieben: Nachbarn durften sich nicht belästigt fühlen, auch wollte man verhindern, „dass sich Gelegenheit zur Verführung von Bürgerfrauen“ ergebe, wie es in einem offiziellen Schreiben aus der Zeit heißt. Denn weil das Baden längst nicht mehr wegzudenken war, erließ die preußische Regierung zumindest Vorschriften: So war es auch verboten, ins offene Wasser, in den Fluss hinauszuschwimmen. Und die Polizei passte auf – wer erwischt wurde, musste eine Strafe zahlen, die etwa die Hälfte eines einfachen Arbeiter-Wochenlohnes betragen konnte.
Die Potsdamer kamen trotzdem nach Hermannswerder, zu Fuß über relativ beschwerliche Wege oder mit dem Kahn komfortabel übergesetzt. Selbst Berliner, die sonst gern über die ungehobelten Potsdamer schimpften, so Arlt, schätzten die Stadt als Naherholungsgebiet.
In einem Bericht von 1876 heißt es über Hermannswerder jedoch noch wenig einladend: Ein wüster, kahler Fleck – das Schönste ist die freie Aussicht... und endlich gibt es nun auch einen Kaffee-Ausschank.“ Der Berliner Geschäftsmann Pasewald hatte in den Bedürfnissen der Ausflügler eine Marktlücke entdeckt: Er war der Erste, der um 1800 Gastronomie zur Erfrischung der Badenden auf dem Tornow anbot. 1850 kaufte Luis Drucker das Anwesen und begründete die Eventkultur auf dem Tornow, so Arlt: Neben Gastronomie wurden dort Hunde- und Eselrennen veranstaltet, zu Kabarett und philosophischen Diskursen eingeladen.
Selbst Kronprinz Friedrich Wilhelm war ein begeisterter Schwimmer. Oft ließ er sich mit dem Boot zum Tornow-Ufer bringen. 1819 skizzierte er ein Schlösschen, eine Mischung aus griechischer Antike und luftiger Strandarchitektur. Auf das erhöhte Ufer wollte er, in Sichtbeziehung zu Sanssouci, den Palast Belriguardo stellen lassen, weitere Schlösschen und Anlagen in der Templiner Vorstadt und auf dem Brauhausberg waren geplant. 1823 bekam Schinkel den Auftrag, Entwürfe zu gestalten, doch gebaut wurde das Schloss nie. „Der Tornow blieb, wie er war“, sagte Klaus Arlt.
Freilich nicht ganz. Das Baden hörte nie auf, und Friedrich Wilhelm verkaufte schließlich seine Grundstücke an Unternehmer, die am Ufer des Tornow Badeanstalten errichteten, endlich auch für Damen. Zuvor war dieses Vergnügen nur Männern vorbehalten gewesen. Die Hoffbauerstiftung richtete 1930 eigens eine Badeanstalt für Mädchen ein. Seit 1918 gab es das Restaurant „Alter Tornow“, ein Jugendstilgebäude mit Tanzsaal, wo jetzt das Jugendheim „Oase“ untergebracht ist. Das Gartenlokal sei etwas für die eher einfachen Leute gewesen, so Arlt. Simple Gartenstühle und Tische auf Postkarten legen das nahe. Komfortabler war die Ausstattung im Gasthaus Fährhaus, Treffpunkt für die feinere Gesellschaft, sagte Arlt. Dort wurden hin und wieder „Große Heereskonzerte“ veranstaltet und auf der Speisekarte fanden sich Königinnensuppe und Zungenragout, Kalbsrücken Waldorf, Fährhauseisbecher und Käseplatte.
Das Fährhaus wurde beim Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört, heute siedeln dort die Bewohner einer Wagenburg. Außer Gärten und Bade-Ausflüglern gibt es dort heute Wohnbebauung. 1908 begann die organisierte Besiedlung im Bereich der Küsselstraße, ein Dampferschuppen kam dazu, 1928 gründete sich die Kleingartenkolonie „Alter Tornow“. Für ihr Spartenheim übernahmen die Kleingärtner schließlich den Namen des echten „ Alten Tornows“.
Immer noch wird in der Havel freigebadet. „Heute natürlich im Fauna- und Flora-Habitat“, sagte Klaus Arlt. Die letzte offizielle Badeanstalt wurde 1925 abgebaut, die Stadt eröffnete stattdessen eine solche gegenüber am Ufer des Luftschiffhafengeländes. Trotzdem sei Hermannswerder immer einen Frühlingspaziergang wert, sagte Klaus Arlt. „Besichtigen Sie mal den Tornow“, schlug der Potsdamer Historiker dem Publikum vor.
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