Wie syrische Flüchtlinge über die Pariser Anschläge denken: Vom Krieg verfolgt
Auch syrische Flüchtlinge in Potsdam verurteilen die Terror-Anschläge von Paris. Und fürchten nun weiter zunehmende Ressentiments.
Stand:
Am Schlaatz – „Es ist, als ob der Krieg uns verfolgt“, sagt A. Ahmed und lacht verbittert. Der junge schlanke Mann mit Brille und Hipster-Bart sitzt in der Potsdamer Zweigstelle der Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung in der Heinrich-Mann-Allee und versucht, sachlich zu bleiben. Es sei schon ein komisches Gefühl, so etwas jetzt hier zu erleben. Er sei Anfang dieses Jahres aus Syrien geflohen, um dem Krieg zu entgehen, dem Militärdienst, der Hoffnungslosigkeit, erzählt der 25-Jährige. Seinen vollen Namen will er nicht nennen. Und jetzt die grausamen Terroranschläge in Paris vom vergangenen Freitag, bei denen mindestens 130 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Es sei schrecklich und schockierend, was dort passiert sei.
Auch der 26 Jahre alte Hocine aus Algerien empfindet Wut und Schmerz wegen der Anschläge. In seinem Heimatland habe er selbst viele Terror-Angriffe erlebt. „Leute, die so etwas machen, sind psychisch krank.“ Für den Islam würden die Terroristen nicht stehen, betont der junge Mann mehrfach – am Montag hatte er gerade sein Gebet in der Al Farouk Moschee in der Straße Am Kanal beendet. „Wir Muslime verurteilen solche Taten.“ Auch persönlich ist Hocine betroffen: Sein Bruder arbeite in Paris als Wachmann, erzählt er. Gleich nach den Anschlägen habe er angerufen – zum Glück sei ihm nichts passiert.
Weder Araber noch gläubiger Muslim
Für syrische Flüchtlinge wie Ahmad sind die Ereignisse vom 13. November doppelt tragisch. Der Mann studierte biomedizinisches Ingenieurswesen im Nordosten Syriens – bis er es nicht mehr aushielt. Ahmads Heimatregion ist von der kurdischen PYG kontrolliert, einem Ableger der türkischen PKK. Er sei teils muslimisch, teils kurdisch geprägt, aber eigentlich ein Agnostiker, erzählt er. Er wisse nicht, was er glauben solle, also sei er wohl Atheist.
Und nun tragen die Fanatiker des Islamischen Staates (IS) den Terror auch nach Europa. Doch nicht nur das macht Ahmad zu schaffen, auch die zunehmenden Vorurteile und Ressentiments gegen Flüchtlinge. „Das wird schlimmer und schlimmer“, sagt er.
Immer, wenn die Menschen hörten, dass man aus Syrien sei, werde das mit Schlechtem verbunden. „Lass mich raten, du bist Araber. Nein, bin ich nicht. Lass mich raten, du bist laut. Nein, ich bin nicht laut. Lass mich raten, du bist dreckig. Nein, das bin ich nicht“, sagt Ahmad. Überall wo er hingehe, sei er nur der Syrer. „Das ist nicht wirklich nett.“ Er wolle einfach nur ein neues Leben beginnen, eine Chance darauf bekommen. Immerhin erhielt er jetzt einen Platz in einer Unterkunft im Stadtteil Am Schlaatz. Er hat also eine Bleibeperspektive.
Gefährliche Reise über die Balkanroute
Dafür nahm Ahmad wie so viele andere in diesen Wochen und Monaten die gefährliche Reise über die Balkanroute auf sich. Zunächst strandete Ahmad für neun Monate in der Türkei. Er musste nicht in eines der großen Flüchtlingscamps, sondern mietete sich eine Wohnung mit Bekannten an. Aber: keine Arbeitserlaubnis. Am 27. September kam der 25-Jährige in Potsdam an. Seine Familie lebt derzeit in Münster.
Kommen Islamisten des IS mit anderen Flüchtlingen über die Balkanroute nach Europa, um hier Anschläge zu verüben? Das glaube Ahmad nicht. Er habe so etwas auf seiner Reise nicht mitbekommen, könne es aber auch nicht gänzlich ausschließen. Sicherheitshalber müssten Deutschland und die anderen EU-Länder die Flüchtlinge besser überprüfen. Vielen sei ihre Gesinnung aber nicht anzusehen, warnte er. „Vielleicht auch, indem die Grenzen geschlossen werden“, überlegt er – um sich dann zu korrigieren: „Nein, die Leute verdienen ein besseres Leben.“
Ohnehin sei der islamische Staat kein syrisches Problem. Die meisten Islamisten seien aus dem Ausland, aus Europa, Amerika und vor allem aus dem Irak. „Wir sind nicht extremistisch. Der Großteil der IS-Anhänger sind keine Syrer. Nicht alle Syrer sind Moslems“, sagte er. In Deutschland gebe es viele Berichte über seine Heimat, die aber nicht alle korrekt seien.
Auf die Frage, was getan werden müsse, um den Krieg zu beenden, hat Ahmad eine klare Botschaft. Der IS sei eine Marionette und werde von ausländischen Kräften gesteuert. Und wenn alle Beteiligten nur endlich wollten, könne der Krieg sofort gestoppt werden. (mit HK)
Stefan Engelbrecht
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: