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Landeshauptstadt: Vom Schulschwänzer zum Pizzabäcker

Benjamin Heiner und Kevin Lück gelten als schulische Problemfälle – im Projekt „Leo“ absolvieren sie nun ihr erstes Praktikum

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Benjamin Heiner und Kevin Lück gelten als schulische Problemfälle – im Projekt „Leo“ absolvieren sie nun ihr erstes Praktikum Von Henri Kramer Benjamin Heiner und Kevin Lück sind eigentlich Schulschwänzer. Doch an diesem Montagvormittag wirbeln die beiden Jungen um Tische herum und erklären Kindern die nächsten Handgriffe beim Belegen von mehreren Pizzen. „Verteilt euch um die Tische“, sagt Kevin. Benjamin schneidet mit einem Küchenmesser an einem Schinken und sagt: „So zerlegt ihr ihn am Schnellsten.“ Die 15-Jährigen gelten als klassische schulische Problemfälle: der quirlige Kevin, weil er immer Unruhe stiftete; der ruhige Benjamin, weil er von Mitschülern wie Kevin ständig gehänselt wurde. Beide wechselten oft die Schule und hatten irgendwann „keinen Bock“ mehr auf Unterricht. Seit dem Spätsommer besuchen die zwei Jungs das Lernprojekt „Leo“ im Jugendhaus „Oase“ in Hermannswerder. Es ist ihre vorerst letzte Chance, einen regulären Schulabschluss zu bekommen. Zur Zeit absolvieren sie ihr Schülerpraktikum: Zum vierten Mal laden „Leo“-Schüler dabei Kinder der Evangelischen Grundschule Hermannswerder ein, um im Backofen der „Oase“ Stollen und Pizza herzustellen. „Sie sollen dabei das Gefühl von Verantwortung kennen lernen und üben, zuverlässig zu sein“, sagt „Leo“-Leiter Bodo Ströber. Über fünf Tage lang müssen Benjamin und Kevin pünktlich erscheinen, sonst funktioniert das Projekt nicht. Der Tag fängt jeweils um acht Uhr an, als erstes muss der Steinofen außerhalb des Jugendhauses angeheizt werden. Dann kommen schon Kinder der Grundschule. Zuerst sind die Stollen dran, große Kinderaugen blicken zu Benjamin und Kevin, als sie das Teig-Rezept erklären. „Für Jugendliche wie Kevin oder Benjamin ist es eine neue Erfahrung in diesem Maße gebraucht zu werden“, sagt vor Ort die Sozialpädagogin Pia Fischer. „Leo“ existiert seit fünf Jahren. Es ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Jugendhaus Oase und der Rosa-Luxemburg-Schule. Insgesamt bietet es zwölf Jugendlichen einen Platz für zwei Jahre, ein Schülerpraktikum, wie das Pizzabacken, gehört dazu. „Wir möchten schwer beschulbare Jugendliche dazu bringen, ihre reguläre Schulzeit zu absolvieren und möglichst einen Abschluss zu machen“, sagt „Leo“-Chef Ströber. Dieses Ziel versuchen die zwei Lehrer und zwei Sozialarbeiter bei „Leo“ mit Projektunterricht zu erreichen, normale Schulfächer wie Mathematik gibt es nicht. „Ich spiele mit den Kindern zum Beispiel Shakespeare nach, nenne dies dann aber nicht Deutsch-Unterricht“, erklärt Bode. Gleichwohl gibt es bei „Leo“ Regeln: Wer mit Drogen handelt, Mitschüler verprügelt oder kaum erscheint, der fliegt. „Wer diese Chance hier nicht nutzt, dem können wir auch nicht helfen“, sagt Ströber. Etwas mehr als jeder zweite Jugendliche beende durch „Leo“ seine Schulzeit regulär, zwei hätten sogar den Zehntklassen-Abschluss geschafft. In der „Oase“ sind die Stollen inzwischen in Form gebracht, der Pizzateig auf Blechen ausgerollt und belegt. Kevin öffnet den Ofen, mit einem Metallschieber schafft er die heiße Glut aus dem Inneren in eine Schubkarre. „Weil der Ofen aus Stein gebaut ist, bleibt die Wärme in ihm“, sagt Kevin. Benjamin wischt den Ofen aus. Er erzählt, was ihm an „Leo“ gefällt. „Ich kann mich hier besser konzentrieren als in einer größeren Klasse.“ Schon stehen die ersten Grundschüler mit noch ungebackenen Pizzen am Ofen. „Seid ihr eigentlich normale Schüler wie wir?“ Fast stolz sagt Kevin: „Ja, aber zur Zeit machen wir ein Praktikum.“

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