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Landeshauptstadt: Vom Wasserschloss zum Landtag

Der Bau der Eisenbahn im 19. Jahrhundert zerschnitt Potsdams Mitte

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Der Bau der Berlin-Magdeburger Eisenbahn im Jahre 1846 brachte eine gravierende Änderung für das Potsdamer Stadtschloss mit sich: Der Bahndamm verdarb die Attraktivität der Schloss-Lage am Wasser. Hans-Joachim Giersberg bezeichnet in seinem kleinen Stadtschloss-Buch den Bau der Eisenbahn entlang der Havel als „entscheidenden Einschnitt“ – vielleicht ein Grund, warum der Knobelsdorff-Bau nach dem Tode Friedrich Wilhelms IV. kaum noch von der kaiserlichen Familie bewohnt war und praktisch zum Museum wurde.

In Anbetracht aktueller Kontroversen mit den Unesco-Welterbehütern um die Bebauung in Bornstedt oder an Babelsberger Straße ist zu fragen, wie es unter den Augen Peter Joseph Lennés und des preußischen Königs Mitte des 19. Jahrhunderts möglich war, die Kulturlandschaft derart zu zerschneiden.

Dazu beigetragen hat vor allem die große Begeisterung für das neue Verkehrsmittel und der erwartete enorme Fortschritt. „Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält kein Menscharm mehr auf“, soll der Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. nach der Eröffnungsfahrt von Berlin nach Potsdam am 29. Oktober 1838 begeistert ausgerufen haben.

Die erste preußische Eisenbahnstrecke von Berlin nach Potsdam berührte jedoch nicht das historische Zentrum. Die Anlage des Bahnhofs erfolgte bewusst außerhalb der Stadt am östlichen Havelufer. Für die Weiterführung der Bahn nach Magdeburg war das anders. Zunächst hatte der König hierfür die Bedingung gestellt, die königlichen Anlagen und die durch Lenné verschönerte Insel Potsdam nicht zu beeinträchtigen. Peter Joseph Lenné bezog der König daher ausdrücklich in die Planungen mit ein. Lenné unterbreitete den Vorschlag, künstliche Inseln anzulegen und die Bahn über die Havelbucht zum Tornow zu führen. Der Vorschlag war ebenso wenig aussichtsreich wie die ursprüngliche Vorstellung des Königs, die Insel Potsdam gänzlich zu umfahren. Beides war viel zu kostenaufwändig. Daher entschied Friedrich Wilhelm IV. 1844, die kürzeste Streckenführung zu wählen. Deren Bau mit einer Brücke durchschnitt die freie Sicht über die Flusslandschaft. Die freie Aussicht von der Gartenfassade des Stadtschlosses, laut Eva Sprecher in ihren „Betrachtungen zum Eisenbahnbau unter Friedrich Wilhelm IV.“ auf die Wasserflächen der Havel ausgerichtet, war dahin. Der König konnte nur noch kosmetische Operationen anordnen. So sollten die Pfeiler der Brücke derart angeordnet werden, dass sie den Wasserspiegel nicht allzu sehr verdecken. Lenné kamen weitere Aufgaben zu: Schutz des alten Eichenbestandes in Richtung Wildpark sowie die Anlage des im italienischen Stil errichteten Bahnhofs Wildpark mit Empfangsgebäude und Gaststätte.

Als der Bau, der immerhin einen entscheidenden Einschnitt in die Potsdamer Kulturlandschaft darstellte, vollendet war, empfanden ihn laut Sprecher viele gar als Bereicherung. Von der Aussichtsterrasse des eigens umgestalteten Potsdamer Bahnhofs „konnten die Besucher den Eisenbahnbetrieb, den weiten Ausblick in die Havellandschaft und das Panorama von Potsdam genießen.“ Und weiter: „In diesem Landschaftsbild wurde die Eisenbahn mit ihren pfeifenden, Dampf und Rauch ausstoßenden Lokomotiven als ein neues belebendes Element wahrgenommen“. Das neue Stadtschloss, das in drei Jahren als Sitz des brandenburgischen Landtag an alter Stelle stehen soll, muss auf die „belebenden Elemente“ pfeifender und qualmender Loks verzichten, ist dafür umringt von Straßenbahn- und Autoverkehr. Aus historischer Sicht erscheint dieser Umstand nicht allzu gravierend.

Günter Schenke

Günter Schenke

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