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Alle melden Bedarf an. Bei der Abwerbung von frischgebackenen Lehrern aus Bayern war Berlin schneller als Brandenburg. Die Bildungsverwaltung der Hauptstadt lud alle Referendare ein, sich an der Spree zu bewerben. Dort werden noch mehr Lehrer gesucht.

©  Ullstein

Landeshauptstadt: Von den Bergen in die Ebene

Brandenburg will angehende Lehrer aus Bayern weglocken. Denn dort haben rund 600 Referendare keine Aussicht auf eine Stelle – viele von ihnen wären hier aber überqualifiziert

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Noch führt Antje Vogel Elterngespräche am Christian-Ernst–Gymnasium in Erlangen. Doch damit ist bald Schluss. Denn die 31-jährige gebürtige Potsdamerin hat als frischgebackene Lehrerin keine Aussicht auf eine Stelle in Bayern. Zwar hat sie ihr zweites Staatsexamen kürzlich mit der Examensnote 1,5 absolviert, aber sie ist eine von rund 800 Referendaren für Gymnasien, die derzeit ihre Ausbildung in Bayern beenden. Nur 170 von ihnen wird der Staat als Lehrer übernehmen. Bleiben mehr als 600 übrig. Viele von ihnen können sogar ein Einser-Examen vorzeigen. Antje Vogel ist sauer: Sieben Jahre lang habe sie sich ausbilden lassen, beste Ergebnisse vorgelegt, jetzt habe sie nur das Gefühl, „du genügst nicht“, sagt sie verbittert. „Nicht mal den Guten gibt man eine Chance, sich zu beweisen.“ Die Wut der Antje Vogel über den Freistaat könnte das Glück eines Landes wie Brandenburg sein.

Denn hierzulande werden händeringend neue Lehrer gesucht. Im kommenden Schuljahr muss das Ministerium rund 1000 Stellen neu besetzen, die meisten von ihnen aufgrund der Pensionierung von Lehrkräften, aber auch weil viele Bedienstete die Zahl ihrer Unterrichtsstunden reduzieren können. Berlin will ebenfalls ab Sommer massiv einstellen, sogar doppelt so viele wie Brandenburg. Die Berliner Bildungsverwaltung hat die bayrischen Referendare schon eingeladen, sich in der Hauptstadt zu bewerben. Nun zieht Brandenburg nach, plant eine Anzeigenkampagne und ist nach Aussagen des Ministeriumssprechers Stephan Breiding im Gespräch mit dem Kultusministerium. Ob man auf den dortigen Internetseiten einen Aufruf platziert, Material verteilt oder einfach das Land vorstellt, sei noch nicht klar.

Antje Vogel hat sich sofort in Brandenburg beworben, schließlich ist das ihre alte Heimat. „Potsdam wäre super“, sagt sie. „Aber da wollen ja alle hin.“ Aufs Land zu gehen fände sie auch „nicht so dramatisch“. Sie weiß, dass sie nicht wählerisch sein darf mit ihrer Fächkombination. Die Fächer Deutsch und Politische Bildung hat sie studiert, nicht wirklich Mangelware wie etwa naturwissenschaftliche Fächer. „Das sind nun gerade die, die wir derzeit nicht brauchen“, sagt Ministeriumssprecher Breiding über die vielen Gymnasialreferendare aus Bayern. Vor allem für die Grund- und die Oberschulen würden Lehrer gesucht, allein im kommenden Schuljahr rund 400. HätteVogel Sonderpädagogik studiert, könnte sie sich wohl ihren Einsatzort aussuchen.

In Berlin hatte Antje Vogel bereits ein Vorstellungsgespräch an einer Berufsschule. Sie war eine von vielen, der Schulleiter ließ im 15-Minuten-Takt vorsprechen. Antje Vogel bekam umgehend eine Absage: „Die Berufsschule hat gemeint, dass ich als Gymnasiallehrerin enttäuscht sein könnte über das sprachliche Niveau der Schüler“, sagt sie. Darum wollte man dort lieber auf eine richtige Berufsschullehrerin warten. Zu einem zweiten Vorstellungsgespräch an einer anderen Schule wurde sie gar nicht erst eingeladen. Aufgrund der vielen Bewerber habe die Schule erst mal nur die „Einser“-Kandidaten eingeladen.

In Brandenburg wird man nicht so wählerisch sein können. Denn so viele bayrische Bewerber wie nach Berlin wird es hierher nicht ziehen. Das Ministerium wirbt sogar dafür, dass Gymnasiallehrer wie Vogel sich für andere Schulformen bewerben. „Entweder wird ein überqualifizierter Lehrer eingestellt oder gar keiner“, bringt Sprecher Breiding die Not des Landes auf den Punkt. Es sei denkbar, dass für eine fünfte oder sechste Klasse an der Grundschule auch Gymnasiallehrer „durchaus passen“.

Dass sie für einen Job an einer Grundschule eigentlich fachlich überqualifiziert wäre und auch weniger Geld bekäme als an einem Gymnasium in Bayern, ist Antje Vogel egal. Sie sei Lehrerin aus Leidenschaft, sagt sie, und habe sich nicht wegen des Gehalts oder der Verbeamtung für den Beruf entschieden. Allerdings seien die Aussichten auf einen Job damals, als sie angefangen hat zu studieren, auch bestens gewesen. Antje Vogel erinnert sich, wie in ihre Schule, als sie in der 13. Klasse war, der damalige Bildungsminster Holger Rupprecht (SPD) zu Besuch kam und groß für den Lehrerberuf warb. Die Schüler könnten ihre Lieblingsfächer studieren – der Lehrerberuf sei eine sichere Bank. Nach acht Jahren sieht der Bedarf anders aus. „Irgendwie muss man das besser regulieren“, fordert Vogel. Die Studienplätze sollten begrenzt werden, schließlich habe der Staat auch eine Verantwortung gegenüber den Bürgern, die er für den Staatsdienst ausbildet, argumentiert die Sozialkundlerin. Doch Ministeriumssprecher Stephan Breiding verweist auf die Freiheit der Studienwahl und die Unabhängigkeit der Universitäten. „Das Land kann den Hochschulen keine Auflagen machen.“

Antje Vogel wäre gern in Bayern geblieben, hier hat sie sich ein Leben aufgebaut. Ihre Aussichten, eine Lehrerlaufbahn im Freistaat zu beginnen, sind auch künftig schlecht. Weil sie in Brandenburg ihr erstes Staatsexamen absolviert habe, wird ihre Examensnote nach der sogenannten Malus-Regelung gesenkt. Auch hier bestehe für Gymnasiallehrer wenig Hoffnung, sagt Ministeriumssprecher Breiding, vielleicht verbessere sich die Situation in zwei, drei Jahren.

Grit Weirauch

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