zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Von der Vergangenheit in die Zukunft

Gedenken an Pogromopfer und Hoffnung auf Synagogen-Bau/ Nebrat: Land betreibt „antisemitische Politk“

Stand:

Innenstadt - Rund 200 Potsdamer gedachten gestern Mittag der Opfer der Pogromnacht und legten Kränze am einstigen Standort der Synagoge am Platz der Einheit nieder. Vor 70 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland Juden angegriffen und verhaftet, ihr Eigentum, jüdische Einrichtungen und Synagogen geplündert, in Brand gesteckt und zerstört. Nach der Kranzniederlegung ging es zum geplanten Standort der zukünftigen Synagoge in der Schlossstraße. Unter den Teilnehmern waren Vertreter aller demokratischer Parteien im Stadtparlament sowie Mitglieder der Kirchen.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) betonte in seiner Rede, dass der Tag zwar nicht den Beginn der Judenverfolgung markiere, aber ein Tabubruch im zivilen Umgang miteinander darstellte. In Potsdam wurde die Synagoge ebenfalls zerstört, 23 jüdische Potsdamer wurden sofort deportiert. „Vielen Potsdamer hatte man die Mitmenschlichkeit ausgetrieben – sie hatten sie sich austreiben lassen“, so das Stadtoberhaupt. Jakobs erklärte, er sei froh, dass heute wieder jüdisches Leben in Potsdam Einzug gehalten habe und „die jüdischen Mitbürger von den Menschen dieser Stadt herzlich aufgenommen werden“. Als Beispiel fügte er das alljährliche Straßenfest an oder die „breite moralische und finanzielle Unterstützung zum Neubau einer Synagoge“. Der Rabbiner der Gemeinde, Nachum Presman, erklärte, er gehe „als Optimist“ davon aus, dass 2012 der Bau stehe. Derzeit läuft der Architektenwettbewerb für den Neubau an der Schlossstraße. „Ich habe meinem Sohn versprochen, seine Bar-Mizwah im neuen Haus zu feiern.“

Der Potsdamer Dirigent Ud Joffe erklärte, die Synagoge werde „das neue Herz des Gemeinde-Körpers“, bezeichnete den Gedenkmarsch vom alten zum neuen Standort als „Weg aus der vergangenheit in die Zukunft“. Er rief die Mitglieder seiner Gemeinde auch auf, dieses neue Herz mit Leben zu füllen. „Wir dürfen nicht lediglich auf die Immobilie fixiert sein.“ Die Juden müssten die Verantwortung in die Hand nehmen. Dabei verwies er auf ein Kindergarten-Projekt des Rabbiners Presman, das wegen fehlender Unterstützung ruht. In der Drewitzer Kita „Märchenland“ gab es bis vor kurzem eine jüdische Gruppe mit zwölf Kindern, koscherer Küche und besonderen Inhalten. OB Jakobs, der von der Einstellung des Angebots bislang nichts wusste, kündigte Hilfe an. Presman erklärte, auch die Landesregierung beteilige sich an der Suche nach einem Weg, das Projekt zu erhalten.

Mehr politischer Protest als Gedenkfeier war die Kundgebung der Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde am Sonntagabend an gleicher Stelle. Am Standort der ehemaligen Synagoge protestierten rund 30 Teilnehmer mit Bannern gegen „Ausgrenzung, Diskiminierung, Vertreibung, Willkür“ und wandten sich „gegen antijüdische Politik“. Shimon Nebrat von den Gesetzestreuen bezichtigte die Landesregierung „ausgeklügelte antisemitische Politik“ zu betreiben. In seiner kurzen Rede auf deutsch – der Rest der gut einstündigen Kundgebung verlief auf russisch – erklärte Nebrat, die Juden hätten immer noch Angst in Deutschland. „Nicht vor den rechten Parteien, die offen und ehrlich sagen, dass sie Juden nicht wünschen. Wir haben Angst vor Parteien, die sich christ- und sozialdemokratisch nennen und lediglich Sonntagsreden halten. Aber eine Politik betreiben, von der wir immer noch befürchten müssen, nicht erwünscht zu sein.“ Er forderte, dass das Land in „politische, organisatorische und finanzielle Verantwortung“ gehe, jüdische Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Gemeindezentren und Synagogen errichte, die dann den Gemeinden übertragen werden sollen. Kay Grimmer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })