Landeshauptstadt: Von Drewitz lernen
Experten diskutierten über energetische Sanierung in Potsdam und im Bund
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Fragwürdige Dämm-Materialien, teure Anlagen, unnötig hohe Energiestandards – die energetische Sanierung, die unter anderem durch die neue Energieeinsparverordnung (EnEV) geregelt wird, ist umstritten. Unter dem Titel „Die neue Energieeinsparverordnung – Notwendigkeit oder Preistreiber für Mieten und Wohnungsneubau?“ fand am Donnerstag im Nikolaisaal ein Salongespräch im Rahmen des Potsdamer Klimadialogs statt, an dem unter anderem Klaus Töpfer, der frühere Umweltminister und Direktor des Potsdamer „Institute for Advanced Sustainability Studies“, und Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) teilnahmen.
Die Architektin und Energieberaterin Anja Beecken, die an vielen Sanierungsprojekten in Potsdam beteiligt war, zeichnete ein düsteres Bild der Folgen der hohen EnEV-Anforderungen für die Architektur: „Fakt ist, dass der Wohnungsneubau extrem teuer wird mit den neuen Gesetzen. Das kann nur kompensiert werden, indem die Wohnungen wieder kleiner und kompakter werden, mit weniger Fenstern, nicht mehr so lichtdurchflutet und mit weniger lebendigen Grundrissen, als wir sie früher gewohnt waren.“
Töpfer hielt dies nicht für eine zwangsläufige Folge: „Ich wohne in Berlin in einem Altbau und bin umgeben von Fenstern – und die entsprechen alle der EnEV.“ Und kleiner würden die Wohnungen aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft ohnehin, so Töpfer. Das eigentliche Problem sei nicht der Neubau, von dem jährlich nur ein Prozent des Wohnraums betroffen sei, sondern die sozialverträgliche energetische Sanierung des Bestandes.
In Potsdam sei vor allem die Gartenstadt Drewitz ein gutes Beispiel, wie energetische Sanierung sozialverträglich und ohne große Preissteigerungen funktionieren könne, sagte Jann Jakobs: „Dort haben wir die Vorgaben erfolgreich umgesetzt und haben eine hohe Akzeptanz bei den Anwohnern.“ Nach diesem Vorbild sollen laut Jakobs künftig auch die Kasernen in Krampnitz saniert werden.
Konsens unter den Diskutierenden war, dass – wie im Falle von Drewitz – bei der energetischen Sanierung mehr quartierbezogen als bisher gedacht werden müsse. Auch Töpfer lobte Potsdam: „Die Stadtwerke hatten zu viel Energie im System und haben dafür einen großen Wärmespeicher gebaut – warum macht man so was nicht öfter?“
Einer der rund 50 Zuschauer berichtete von unsinnigen Sanierungen: „Oft wird gar nicht überprüft, ob die Gebäude so dick gedämmt werden müssen, in Potsdam reicht bei vielen Plattenbauten eine Fugen-Dämmung.“ Siegfried Rehberg vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen stimmte dem zu: „In Drewitz mussten auch nur die Fugen, die Fenster und die Dächer ertüchtigt werden.“
Angesprochen auf die energetische Sanierung des großen Bestands an denkmalgeschützten Objekten in Potsdam sagte Jakobs: „Da gibt es viel Diskussionsbedarf. Ich erlebe den Denkmalschutz in der Stadt als sehr konservativ, vielleicht wären Anreizsysteme hier hilfreich.“ Beecken empfahl dazu die Nutzung des Effizienz-Förderprogramms der KFW-Bank.
Insgesamt war man sich am Ende der Diskussion einig, dass die Ziele der EnEV zwar richtig seien, die Vorschriften zu deren Erfüllung jedoch viele Mängel aufweisen. Sowohl Töpfer als auch Beecken und Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes, plädierten für mehr Individualität und Flexibilität bei der Umsetzung.
In der jetzigen Form könne die EnEV ihre eigenen Ziele weder im Neubau noch im Bestand erreichen, so Rehberg. Er forderte ein gänzlich neues Instrumentarium: „Die Verordnung basiert auf Konzepten, die aus den 70er-Jahren stammen und einfach nur immer weiter fortgeschrieben wurden.“ Beecken warnte nicht nur vor einer Einschränkung von architektonischer Kreativität: „Der Perfektionismus der EnEV verhindert gerade, dass ganz viel nötige Sanierung überhaupt durchgeführt wird.“ Erik Wenk
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