Landeshauptstadt: Von Eichhörnchen und Elefanten
Landesverfassungsgericht verhandelte Klage der Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde gegen das Land
Stand:
Zwar gab es noch kein Urteil. Doch eines war nach zweistündiger Verhandlung am Freitag klar: In der Entscheidung über die Klage der in Potsdam ansässigen Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg e.V. gegen die Förderpraxis der Landesregierung werden die Richter des brandenburgischen Landesverfassungsgerichts zu „keiner einfachen Entscheidung“ finden, wie Gerichtspräsident Rüdiger Postier resümierte. Eine Anspruchsgrundlage, wonach die Gesetzestreuen Juden in gleicher Höhe gefördert werden müssen wie der mitgliederstärkere Jüdische Landesverband, „ist nicht mit Händen zu greifen“, erklärte Brandenburgs oberster Verfassungsrichter. Postier zufolge werde die Entscheidung Ende April oder Anfang Mai dieses Jahres verkündet.
Konkret geht es um die Förderung jüdischen Lebens im Land Brandenburg in den Jahren 2000 bis 2004. Richter Postier stellte aber klar, dass sich die Landesregierung auch in der Zukunft an dem Urteil des Verfassungsgerichtes zu orientieren habe. Der Streitwert beträgt 373 000 Euro – so viel bekam der jüdische Landesverband, Dachverband mehrerer Gemeinden im Land, im genannten Zeitraum mehr an Fördermitteln als die Gesetzestreue Landesgemeinde. Somit bekommt der Landesverband etwa zehn Mal mehr als die Gesetzestreuen – das bewege sich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) „im Rahmen des zulässigen Ermessensspielraumes“. Gegen dieses Urteil richtet sich die Verfassungsklage des Gesetzestreuen Juden. Ist sie erfolgreich, muss sich das OVG erneut mit dem Anliegen der sich als sehr orthodox verstehenden Potsdamer Gemeinde beschäftigen.
Die Landesregierung begründet die unterschiedliche Höhe der Förderung mit den unterschiedlichen Mitgliederzahlen. Offiziellen, von den jüdischen Institutionen selbst gemeldeten und nicht vom Land überprüften Zahlen zufolge standen im Jahr 2000 den 60 Mitgliedern der Gesetzestreuen 700 Mitglieder im Landesverband gegenüber. Clements Neumann vom Kulturministerium scheint jedoch nicht an die 60 Mitglieder der Gesetzestreuen Gemeinde zu glauben, denn er sagte, eine kleine Gemeinde von „drei bis vier Familien“ brauche nicht so viel Geld, da sie sich auch „in Privaträumen“ treffen könne und keine Gemeinderäume mieten müsse. Neumann: „Ein Eichhörnchen braucht weniger Futter als ein Elefant.“
Sicher keine Tendenz hinsichtlich des Urteils vorwegnehmend, merkte Gerichtspräsident Postier an, dass die Mitgliederzahl „nichts aussagt über die Intensität des jüdischen Lebens“. In Band 108 der Bundesverfassungsgerichtsurteile fand Postier „das Gebot der strikten Gleichbehandlung in Begründung und Praxis der Umsetzung“ der Religionsförderung. Postier: „Es steht etwas versteckt, aber es steht dort.“ Oder Band 19, ein Urteil über Gebühren christlicher Kirchen. Da entschieden die Bundesverfassungsrichter, „eine Ungleichbehandlung würde die Großen noch mehr stärken“. Das sei „nicht angemessen“. Mehrmals zog Postier den Augsburger Religionsfrieden von 1555 heran, ein Vertrag, der das Verhältnis zwischen Staat und christlichen Kirchen regelt. Das Reichsgesetz für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation lege eine „absolute Gleichbehandlung“ der katholischen und der evangelischen Kirche durch den Staat fest. Dieses Verständnis der Parität, der Gleichbehandlung, „kommt über uns“, befand Postier, und gehe ein in die Landesverfassung.
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