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Auf der Couch. Katrin Haneder und Sebastian Sommerfeld entwickelten ihr Bühnenstück nach Gesprächen mit Zeitzeugen der Potsdamer Bombennacht 1945.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Von Instantkakao und süßem Senf

Für „Potsdam brennt ringsherum“ sprachen Katrin Haneder und Sebastian Sommerfeld mit Zeitzeugen der Bombennacht 1945 - mit erstaunlichem Ergebnis

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Instantkakaopulver. Die Frau kommt wieder und wieder darauf zu sprechen. Dabei sollte sie von ihren Erlebnissen bei der Bombardierung Potsdams am 14. Februar 1945 erzählen. Die Zeitzeugin war damals als Kind dabei. Aber Schreckensgeschichten von Flammen, Entsetzen, Tod oder Verlust bekommen Katrin Haneder und Sebastian Sommerfeld von ihr nicht zu hören. Stattdessen ausführliche Erklärungen über die Vorzüge von Instantkakaopulver.

So ähnlich sei es ihnen mit allen sieben Befragten gegangen, berichtet Katrin Haneder: „Wir haben einfach zugehört – es haben sich lange Monologe entwickelt, die sich schnell vom Bombenangriff wegbewegt haben.“ Da war zum Beispiel der Mann, dessen größte Sorge war, dass der Rewe-Laden um die Ecke zumacht. Weil es dort diesen besonderen Senf gibt, den der Netto nebenan nicht führt. Kein süßer Senf mehr. Katastrophe! Von der Katastrophe vor 68 Jahren dagegen kaum ein Wort.

Als „zwanghaft detailverliebt“ beschreibt Sebastian Sommerfeld die Zeitzeugen-Erzählungen. Weil der Schauspieler und Regisseur auch Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist, kann er in Worte fassen, was da möglicherweise passiert: Die Traumatisierten stehen hilflos vor ihren eigenen Erlebnissen, können nicht darüber sprechen, „das Ich ist überfordert“. Trotzdem klingt das erlebte Leid in den scheinbar banalen Alltagsschilderungen nach.

Solche Spuren der Erlebnisse aus der Bombennacht 1945 will das Schausspielerduo Haneder und Sommerfeld in dem Stück „Potsdam brennt ringsherum“, das am morgigen Sonntag in der Reithalle Premiere feiert, freilegen. Etwa zehn Monate dauerte die Vorarbeit, aus mehreren Hundert Seiten Gesprächsprotokoll destillierten die beiden Potsdamer den 40 Seiten umfassenden Text. Die Anonymität der Zeitzeugen bleibt darin gewahrt. Auf der Bühne wird das Duo vom Chor der Volkssolidarität begleitet, der das Geschehen ähnlich wie der Chor im griechischen Theater kommentiert – begleitet teils auch von Musik, zum Beispiel argentinischem Tango.

Für die Zuschauer kristallisiert sich dabei eine eigene Lesart heraus: Dass die Sache mit dem Instantkakao zum Beispiel von einer Frau kommt, die keine Familie gründete und das nach eigenem Bekunden auch nie wollte, die sich aber in Beschreibungen der Hochzeiten anderer geradezu verlieren kann, ist für Haneder kein Zufall: „Mit Milch möchte sie nichts zu tun haben – das erinnert sie an das, was fehlt in ihrem Leben.“ Die Senf-Frage wiederum könnte eine Strategie gegen Hilflosigkeit und Kontrollverlust sein.

Für Haneder und Sommerfeld ist es bereits das zweite gemeinsame Stück: Im vergangenen Jahr näherten sich die Endzwanzigerin und der Mittvierziger auf ähnliche Weise nach Gesprächen mit Betroffenen dem Thema Depression – „Pink Freud“ hieß das Ergebnis. Den Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Potsdamer Bombennacht habe ein Gespräch mit einer älteren Dame in der Straßenbahn gegeben, erzählt Katrin Haneder: „Das Stück ist aus dem Herzen Potsdams herausgeschnitten – obwohl das Thema in Potsdam überhaupt nicht präsent ist“, findet die Politologin und Schauspielerin.

„Potsdam brennt ringsherum“, Premiere am 9. Juni, 18 Uhr, in der Reithalle A in der Schiffbauergasse mit Publikumsgespräch im Anschluss. Weitere Aufführungen sind am 22. Juni beim Schiffbauergassen-Event „Stadt für eine Nacht“ sowie im September geplant. Eintritt sechs Euro.

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