Landeshauptstadt: Von Karpfen und Keschern
Potsdams einziger Fischer hat Hochsaison: Rund 1000 Karpfen muss er bis Silvester aus dem Wasser holen
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Er schlägt seine Schwanzflosse hin und her – kraftvoll, dass das Havelwasser spritzt. Als wollte er seinem Schicksal entfliehen. Aber der Fisch hat keine Chance, morgen ist Silvester. Und das bedeutet: Karpfenzeit. Rund 1000 der Tiere wird Potsdams Fischer Mario Weber bis zum letzten Mittag des Jahres 2008 verkauft haben – wie jedes Jahr. Vor allem an ältere Potsdamer. Für die sei der Silvesterkarpfen noch ein Traditionsgericht, sagt er. Weber steht in blauer Winterweste und grünen Gummistiefeln auf seinem Steg und zieht den Fisch mit einem Kescher aus dem Gewirr zuckender silbrig glänzender Leiber.
In den 32 Kubikmetern des Hälternetzes drängen sich rund 250 Karpfen dicht an dicht. Drei solcher Hälternetze hat Weber in die Havel gehängt, die vor seiner Fischerei in der Großen Fischerstraße fließt. Anderthalb Tonnen Karpfen halten sie insgesamt. Einige hat er selbst gefischt, die meisten hat er aber Mitte Dezember als ausgewachsene Tiere bei einem Lausitzer Kollegen gekauft. Sie wurden in Teichen gezogen. „Karpfen sind hier nicht heimisch.“ Mario Weber holt aus den Flüssen und Seen Zander, Aale und Hechte – „manchmal null. manchmal 100 am Tag.“ Jeden Morgen fährt er gegen sechs mit seinem Boot aufs Wasser. Vor Sonnenaufgang muss er seine Fischstellen erreicht haben. Wo die sich befinden, bleibt aber sein Berufsgeheimnis.
Nur 660 Brandenburger leben heute von der Binnenfischerei. Insgesamt 1000 Tonnen Karpfen haben sie dieses Jahr aus den märkischen Gewässern gefischt. Seit 25 Jahren arbeitet Weber, der einzige Fischer Potsdams, in seinem Betrieb. Katrin, die Verkäuferin im Laden, hilft ihm dabei, sie ist seine einzige Mitarbeiterin.
Jetzt fasst Weber in den Kescher, das Karpfenmaul schnappt auf und zu. Der Fischer packt das Tier am Kopf und trägt ihn zur stählernen Schlachtbank. „Der wiegt zweieinhalb Kilo“, sagt Weber zu dem jungen Mann mit Rucksack. „Ich mache das zum ersten Mal“, sagt der Kunde. Seine Eltern hätten früher jedes Silvester Karpfen Blau auf den Tisch gestellt, sehr lecker sei der gewesen. „Der stand irgendwie auf einer Tasse.“ Dieses Jahr will der junge Mann das Gericht für seine eigene Familie zubereiten. „Muss ich den Fisch lebendig kaufen oder nehmen Sie mir den auch aus?“ „Na, was wollen Sie denn?“, fragt Weber zurück.
Er nimmt einen kleinen Stock, haut dem Fisch kurz auf den Kopf. „Der ist hin“, sagt er und beginnt mit dem kreisrunden Schuppenmesser den Fisch abzuschaben, von der Schwanzflosse bis zum Kopf. „Immer gegen den Strich“. Manche Kunden wollen eine Schuppe mit nach Hause nehmen, um sie ins Portemonnaie zu legen. Dann gehe das Geld nie aus, lautet der Aberglaube. Weber hält davon nichts. Mit einem spitzen Messer schlitzt er den weißen Karpfenbauch auf, greift die Eingeweide und zieht sie heraus. Keine 20 Sekunden dauert das. Es spritzt ein bisschen. Der junge Mann zuckt kurz zusammen, als er die roten Bluttropfen und Schuppen auf dem Boden vor dem Schlachttisch entdeckt. Manche Kunden hätten keine Ahnung. „Die wissen nur, dass man Fisch auch essen kann“, sagt Weber später und schüttelt verständnislos den Kopf. Andererseits: „Das sind die Kunden von morgen.“ Der Mann hat das Fischereigelände schon wieder verlassen mit zwei Karpfen und einer Fischblase zum Spaß für die Kinder.
Weber hat nicht nur von Berufs wegen Ahnung von Fisch, er isst ihn auch jeden Tag. „Nur dieses Jahr Weihnachten, da gab es zum ersten Mal Gans“. Aber zu Silvester gibt es wieder Karpfen Blau – gedünstet mit Petersilie und Zitrone, serviert auf einem Gemüsebett. Seine Freundin wird ihn zubereiten. J. Wedemeyer
J. Wedemeyer
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