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Hobbyhistoriker und Uniformmacher. Gert Kinnemann präsentiert in seiner Werkstatt eine noch unfertige Pickelhaube (r.) und einen Rohling. Der Neuenhagener Autodidakt kann auch zu jedem Kostüm-Detail geschichtliche Erläuterungen geben.

© Michael Urban/ddp

Von Bernd Kluge: Von Pickelhaube bis Kuhfußgewehr

Geschichtsfan Gert Kinnemann fertigt in Neuenhagen historische Uniformen nebst Zubehör

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Neuenhagen - In seiner grünen Arbeits-Latzhose wirkt Gert Kinnemann wie ein herkömmlicher Handwerker. Doch wenn der 44-Jährige eine seiner selbst geschneiderten Uniformen trägt, wird er zum echten Blickfang. Die Kluft des preußischen Feldjägers aus dem 18. Jahrhundert mit den hellen, gegerbten Hirschlederhosen und dem grünen Rock aus Wollstoff sowie dem passenden Dreispitz auf dem Kopf sitzt wie angegossen. Auch die dunkelblaue Kleidung eines Hauptmanns der Gardeartillerie aus der Zeit der Befreiungskriege (1813 - 1815) steht Kinnemann gut.

Der Neuenhagener Autodidakt kann auch zu jedem Kostüm-Detail geschichtliche Erläuterungen geben. Der schnauzbärtige Hobbyhistoriker kennt sich bestens aus mit Jahreszahlen, Verwendungszwecken, modischen Veränderungen und geschichtlichen Zusammenhängen. „Ich setze praktisch um, was Museologen theoretisch erzählen, jedes Teil ist historisch belegt“, sagt er. Kinnemanns Leidenschaft für Geschichte begann bereits in frühen Kindertagen. Der Junge, der in Berlin aufwuchs, verbrachte lieber Zeit im Märkischen Museum als auf dem Fußballplatz.

Als Erwachsener wurde er dann gemeinsam mit Gleichgesinnten Geschichts-Darsteller bei historischen Festen, Inszenierungen und Treffen, beispielsweise beim größten Geschichtsfest Europas, der „Historiale“ in Berlin. „Angefangen hat alles, weil ich unbedingt das Schießen mit Schwarzpulverwaffen erlernen wollte“, erinnert er sich.

Das Hantieren mit alten oder nachgebauten Vorderladern machte nach seinen Worten aber erst so richtig Spaß, wenn man dazu auch die passende Kleidung trug, in seinem Fall die der Königlich-Preußischen Gardeartillerie. Da es in Berlin und Brandenburg niemanden gab, der die Kostüme originalgetreu nachschneidern konnte, setzte er sich schließlich selbst an eine geborgte Nähmaschine.

Zum Beruf machte Kinnemann sein Hobby vor fünf Jahren. Damals konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als Gas-Wasser-Installateur arbeiten und wagte deshalb im Keller seines Neuenhagener Einfamilienhauses einen Neuanfang. Dort näht er nicht nur Uniformen und Ballkleider aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, sondern baut Waffen nach historischen Vorbildern nach, fertigt Pickelhauben, Taschen, Lederwaren und weiteres Zubehör.

Relativ neu im Programm sind Metall-Prägearbeiten, notwendig, weil zu vielen Uniformen Kopfbedeckungen, verziert mit Mützenblech gehörten. Aktuell arbeitet der Spezialist für einen Auftraggeber an einem preußischen Kuhfußgewehr, wie es im 18. Jahrhundert während des Siebenjährigen Krieges (1756-63) zum Einsatz kam.

Zu Kinnemanns Kunden zählen Museen, Film-Produktionsfirmen aber auch private Sammler weltweit. „Wir haben bereits nach ganz Europa, aber auch in die USA und nach Mexiko geliefert“, zählt der 44-Jährige auf. Seinen Angaben nach erleben Geschichte und deren Nachstellung derzeit einen ungeahnten Boom. „Die Leute sehnen sich nach der guten alten Zeit, wo alles noch seine Ordnung hatte, aber längst nicht alles in Ordnung war“, glaubt der Neuenhagener.

Inzwischen arbeitet im „Zeughaus Kinnemann“ auch sein ältester Sohn Marc. Der gelernte Industriemechaniker hat sich auf den Nachbau sogenannter Blankwaffen spezialisiert: Degen, Schwerter, Messer oder auch Lanzen. „Ich bin da praktisch reingewachsen, habe meinen Vater zu vielen Historientreffen begleitet“, sagt der 24-Jährige, der inzwischen etwa 200 Blankwaffen jährlich nachbaut.

Mittlerweile platzen die verwinkelten Kellerräume förmlich aus allen Nähten. Beherbergen sie doch nicht nur Schneiderei und Sattlerei, sondern auch eine kleine Gießerei. Im Garten des etwa 800 Quadratmeter großen Grundstücks haben Vater und Sohn zudem eine Blankwaffenschmiede gebaut.

„Wir wollen expandieren, um Wartezeiten unser Kunden zu verkürzen, haben Räumlichkeiten auf dem Gewerbehof Neuenhagen in Aussicht“, erzählt Marc Kinnemann. Im Fall eines erfolgreichen Abschlusses der Kreditverhandlungen mit der Bank sollen drei bis vier zusätzliche Arbeitsplätze im neuen „Zeughaus Kinnemann“ entstehen.

Bernd Kluge

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