
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Von Schnecken und Schwaben
Die elfjährige Lucy Gäbele gewann beim Berlin-Brandenburger Schreibwettbewerb Theo einen ersten Platz
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Am Rechner Texte tippen – das mag Lucy nicht so sehr. „Ich hab zu wenig Ausdauer“, sagt die Sechsklässlerin. Lieber schreibt sie mit ihrem Lieblingsfüller, mit dem sie schon in der ersten Klasse ihren Füller-Führerschein gemacht hat. Jetzt hat die elfjährige Schülerin der Rosa-Luxemburg-Grundschule ihren ersten Literaturpreis gewonnen: Beim Theo, dem Berlin-Brandenburgischen Schreibwettbewerb für junge Literatur, belegte Lucy Gäbele den ersten Platz in ihrer Altersgruppe. Aus 520 Einsendungen gelangte sie mit zwölf anderen jungen Autoren auf die Nominierten-Liste, dann entschied sich die Jury für die Geschichte „Fühl es“ von Lucy.
Zum vorgegebenen Thema „Stufen“ hatte sie damals im Januar drei Seiten vollgeschrieben, den Brief auf den letzten Drücker abgeschickt. Auf die Bitte, die Geschichte kurz nachzuerzählen, richtet sich das zarte Mädchen mit den fast zu großen und runden Augen im Bibliothekssessel auf: „Mit oder ohne Ende?“, fragt sie. Sie hat die Handlung schon oft erzählt und rattert sie fix herunter. Und sagt, dass sie bei der Preisverleihung die Geschichte sogar vorlesen musste, wie alle Gewinner. „Ich bin eigentlich gut, ich habe schließlich den Vorlesewettbewerb der Schule gewonnen“, erzählt sie. „Aber ich war bestimmt zu schnell.“
„So ist das eben, wenn es der eigene Stoff ist“, sagt Mutter Tina Gernert-Gäbele. Den Stoff hatte Lucy schon lange in der Warteschleife gehabt. Im Garten bei Freunden beobachtete sie einst, wie jemand eine Schnecke achtlos ins Lagerfeuer warf. „Das fand ich damals so fies“, erinnert sie sich. In „Fühl es“ geht es nun um eine Schnecke, die vom Ich-Erzähler versehentlich auf einer Treppenstufe zertreten wird. Bei Lucy wird der Schneckenfeind bestraft, indem er selbst zu einer Schnecke wird. Als Weichtier durchlebt der Erzähler einige gefährliche Situationen. Exakt 18 Stunden und 15 Minuten dauert das Martyrium, dann kann er sich aus einer Dachrinne befreien – gerade noch rechtzeitig, um wieder als Mensch zur Schule zu gehen. „Ich hab das genau ausgerechnet“, sagt Lucy.
Schon im vergangenen Jahr schaffte sie es beim Theo-Wettbewerb unter die Besten, es reichte aber nicht, um zu gewinnen. Diesmal saß sie Anfang Mai in der ersten Reihe im Saal der Brandenburger Staatskanzlei und ging mit einer großen Gewinner-Medaille nach Hause. „Ein schöner großer Saal, so wie hier“, sagt Lucy beeindruckt und schaut nach oben. In der neuen Bibliothek gefällt es ihr, besonders die freie Wendeltreppe hat es ihr angetan. „Die laufe ich mit meinen Freundinnen immer hoch und runter.“ Mit der Schulklasse war sie bereits einige Male hier, jetzt will sie endlich ihren alten Bibliotheksausweis erneuern lassen.
Das findet auch ihre Mutter gut. Das Bücherregal ihrer Tochter ist voll, sagt sie, es wird Zeit, dass Lucy das Angebot der Ausleihe nutzt. Lesen ist das zweite Hobby der Schülerin, am liebsten sind ihr Bücher, in denen Fantasie, Krimi und das richtige Leben gleichzeitig vorkommen. Sie kann sich noch erinnern, dass Oma und Mutter ihr viel vorgelesen haben, besonders Märchen. Vorgelesen bekommen, das findet sie immer noch toll.
In der zweiten Klasse begann sie selbst mit dem Schreiben, kleine Geschichten, die erste war eine spannende Detektivgeschichte. Mittlerweile hat die Elfjährige viel fertiges aber auch viel unvollendetes Material in der Schublade, Ideen, Personenbeschreibungen, Skizzen. Lucy findet, sie hat leider momentan zu wenig Zeit zum Schreiben. Sie freut sich deshalb sehr auf den Sommer, wenn sie in den Ferien zum zweiten Mal an einer Literaturwoche des Vereins Schreibende Schüler teilnehmen wird.
Wenn sie nach Plänen für ihre Zukunft gefragt wird, kann Lucy ziemlich genau sagen, wie sie sich diese vorstellt. „Ich will Schriftstellerin werden“, sagt sie. Und nach Italien ziehen, am liebsten irgendwo in die Region zwischen Rom und der Küste. Rom, das weiß Lucy aus dem Geschichtsunterricht, sei historisch sehr interessant und eine Weltstadt. Da möchte sie mal hin. „Und dann sitze ich mit meinen fünf Hunden am Meer und schreibe neue Geschichten“, sagt sie schwärmerisch.
Als Nächstes steht ein Schulwechsel an, ab kommendem Jahr geht Lucy auf das Evangelische Gymnasium Potsdam auf der Halbinsel Hermannswerder. Jeden Tag wird sie dann mit der Fähre übersetzen von Potsdam-West, wo sie wohnt. „Als ich drei Jahre alt war, sind wir aus Schwaben hergezogen, damit ich mir keinen Dialekt aneigne“, sagt sie ein wenig altklug. Die Mutter lacht über die Bemerkung ihrer Tochter. Und fragt, ob sie ein Zimmerchen in der Villa in Italien bekäme. Immerhin schaut sie derzeit noch bei den Texten nach der Kommasetzung. „Und als Juristin würde ich ihre Verträge ausarbeiten“, sagt Tina Gernert-Gäbele.
Lucy hält plötzlich inne: Alternativ würde sie auch Lehrerin werden, weil sie doch so gut in Deutsch ist – ihr „absolutes Lieblingsfach“ – und ihre Freundinnen meinen, sie könne immer alles so gut erklären. Jetzt hält sie das Büchlein mit den Preisträgergeschichten vom Theo 2014 in den Händen. „Die sind alle richtig gut“, sagt sie. Sie hat sich vorgenommen jedes Jahr bei dem Schreibwettbewerb mitzumachen. „Ich muss ja nicht immer gewinnen – aber ich will dran bleiben.“
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