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PYAnissimo: Von Sinnen

Gibt es noch irgendwo Glühwein? Natürlich nicht, den gibt es erst wieder ab Ende August, wenn die Lebkuchen aus dem Keller geholt und abgestaubt werden.

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Gibt es noch irgendwo Glühwein? Natürlich nicht, den gibt es erst wieder ab Ende August, wenn die Lebkuchen aus dem Keller geholt und abgestaubt werden. Es ist ja nichts Neues, dass sich jahreszeitliche Unterscheidungen nicht mehr anhand von Zubehör wie Genussmitteln und Dekoration (Der zutreffende Terminus wäre zumeist Netzhautschrecken) treffen lassen. Braucht man aber tatsächlich etwas außer der Reihe, Glühwein zum Osterfeuer beispielsweise, dann findet man das garantiert nicht.

Es gibt zurzeit überhaupt nichts mehr in den Regalen, was auf Ostern, ein kaltes oder warmes, schließen ließe. Anfang der Woche, also dieser Woche, wollte ich Ersatz für bereits geplünderte Oster-Schoko-Produkte besorgen. Und hatte ein Problem: Im Regal lagen bereits Reiseführer und Sonnencreme, der Osterkram war für eine Ramschkiste zusammengefegt worden.

Hoffentlich finde ich zu Hause noch ein paar rettende Weihnachtsmänner. Die dürfen nämlich laut Lebensmittelrecht in Hasen umgeschmolzen werden – umgekehrt geht das nicht! Denn damit hätte sich die Schokoindustrie ja quasi überflüssig gemacht, weil Männer und Hasen einen ewigen Kreislauf gebildet hätten. Ich warte dennoch auf die Erfindung des ersten Selbst-Umschmelz-Bastelsets für zu Hause. Kostet dann sicher dreimal so viel wie ein fertiger Schoko-Rammler, aber es bringt die Familie zusammen, an einen Tisch. Uns ist ja bereits das Eierfärben als Gemeinschaftserlebnis abhandengekommen, seit es die bunten Dinger fix und fertig selbst zu Weihnachten gibt. Dabei war das immer ziemlich spaßig, und nachdem man in Omas Emailletöpfen die Färbebrühe angerührt und sie damit nachhaltig versaut hatte, aß man anschließend monatelang blaue Salzkartoffeln.

Nein, alles vorbei, Ostern beschränkt sich auf einen Einkaufsterror, weil die Freude über ein langes Wochenende wegen verbraucherunfreundlicher Öffnungszeiten getrübt wird. Hat man es noch rechtzeitig ins Einkaufszentrum geschafft, rempelt man gegen erwachsene Menschen, die verzückt übermannsgroße bewegliche Monsterhasen bestaunen, die in einer Art Hospitalismus mit riesigen Pinseln durch die Luft rudern. Und in den Vorgärten baumeln Plastikeier am kahlen Gesträuch, wie ein schlimmer Virusbefall, gegen den kein Kraut gewachsen ist, auch leider kein Sturm „Niklas“, wie es aussieht.

Der Sinnesterror nimmt kein Ende. Ich freue ich mich schon auf den Sinnesgarten, den der Oberlinverein für taub-blinde Menschen baut. Vielleicht gehe ich selbst einmal dorthin, wenn er fertig ist, schließe die Augen und erschließe mir die Umwelt mit meinen Händen, gleite mit den Fingern durch Wasser und Sand, lasse sie den Duft pelziger Salbeiblätter oder eines stacheligen Rosmarinbuschs aufnehmen. Das kann man auch schon auf der Freundschaftsinsel tun – und eigentlich ist ja ganz Potsdam eine Art Sinnesgarten. Am besten einfach mal losgehen, Karfreitag zum Beispiel, und dem einkaufsfreien Tag einen schönen Sinn verleihen.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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