Landeshauptstadt: Vorsprung im Geiste
Die Landeshauptstädte Dresden und Potsdam im Vergleich: Eine Spurensuche mit Wieland Niekisch
Stand:
Dresden/Potsdam - Spöttisch sächselt Wieland Niekisch durch das Mikrofon: „Der Sozialismus siegt.“ Jahrelang standen diese Worte auf einer Reklametafel auf dem Dach des Plattenbaus am Pirnaischen Platz in Dresden, an dem Niekisch am 58. Jahrestag der DDR, so alt wäre sie am Sonntag geworden, vorbei fährt. Niekisch ist auf dem Weg zu einem 400 Meter Luftlinie entfernten stadtprägenden Ort, den es sowohl ohne die DDR als auch ohne den politischen Umbruch so nicht geben würde. Den Neustädter Markt samt Frauenkirche. Dessen ursprüngliche Gestalt kann jetzt wiedergewonnen werden, weil von Pieck über Ulbricht bis Honecker keiner die Ruine der Frauenkirche abreißen und keiner den Neumarkt bebauen ließ. Inzwischen ist das Umfeld des einstigen Mahnmals des Krieges, neben dem die alten Gesichter der Stadt nach Originalvorbild neu entstehen, wieder aufgebaut und gilt als Symbol für Spendenbereitschaft, bürgerliches Engagement und Bekenntnis zur historischen Stadtmitte. Seit Jahren versucht Niekisch zusammen mit anderen diesen Geist auch in Potsdam einkehren zu lassen. Nicht immer und nicht bei jedem mit Erfolg. Potsdam sei durch den Sozialismus ideologisch zu stark geprägt, sagt Niekisch.
Manchmal ärgert er sich über die Stadt Potsdam, auch über Leute, mit denen er teilweise um die gleiche Sache kämpft. Beispielsweise, als er in Dresden vor dem historisch aufgebauten Taschenbergpalais steht, ein Teil des Residenzschlosses, von dem nur noch Grundmauern standen und das heute ein Fünf-Sterne-Hotel mit historischer Fassade ist. Dieser Investor wollte das Potsdamer Stadtschloss als Hotel aufbauen, doch Leute wie Frau Hüneke hätten das zerredet, sagt er giftig. Dann seien die Investoren eben nach Dresden gegangen.
Ein Jahrzehnt ist seitdem ins Land gegangen und noch immer hat Potsdam die Wunde in der Mitte nicht genäht, während in Dresden historisierend, teilweise auf alten Fundamenten gebaut wird. In Potsdam gilt nun der Landtag als Pflaster. Ob ein historisches oder modernes, wissen derzeit nur eine Handvoll Potsdamer, doch die Lage ist schwierig. Zumindest juristisch. Rechtlich gesehen hat die Stadt mit dem Bebauungsplan und dem Landtagsbeschluss keine Möglichkeit, von den Investoren das Schloss zu fordern. Lediglich moralisch.
In Dresden sitzt Niekisch dagegen in einem modernen Plenarsaal des Landtages an der Elbe und schaut in die Runde. Ein Anbau an das Gebäude der ehemaligen SED-Bezirksleitung, das schon bis 1953 als Landtag diente. Das Haus im Bauhausstil ist kein Schloss, hat keine alte Fassade, sondern besticht durch Schlichtheit und Transparenz. Glas umspannt den Plenarsaal, „damit die Abgeordneten wissen, für wen sie Politik machen“, sagt Tilo Hellmann vom sächsischen Landtag. Regiert wird in einem modernen Haus, repräsentiert in der historischen Altstadt.
Der sächsische Landtag ist ein Komplex aus mehreren Häusern, während in Potsdam versucht wird, alles unter einem Dach und größer als benötigt zu verwirklichen. Vor allem in der Potsdamer CDU gibt es dennoch viele, die sich das Stadtschloss zurück wünschen, auch Niekisch.
Er vergleicht gerne die Städte Dresden und Potsdam, sucht Anknüpfungspunkte. Dabei sind Städte nicht gleichzusetzen, allenfalls vergleichbar. Niekisch hat eine Rundtour zusammen gestellt, die Anknüpfungspunkte zwischen dem Solitär Dresden und dem Berlin-Sauger Potsdam herstellen lässt: Volkswagen hat in Potsdam ein Designcenter, in Dresden die Gläserne Manufaktur des Phaeton. Dresden hat eine Garnisonskirche, die bis heute von der Heeres-Offiziersschule als Gotteshaus genutzt wird – vor einigen Jahren wollte McDonalds die Kirche kaufen und ein Restaurant darin eröffnen –, während in Potsdam für den Wiederaufbau der Garnisonkirche gekämpft wird. Die lange Zeit brach liegende Speicherstadt am Elbufer ist inzwischen denkmalgerecht saniert, eine Hotel mit Internationalem CongressCenter ist eingezogen. Eine Entwicklung, die sich Niekisch auch für die Potsdamer Speicherstadt wünscht – solche Pläne hat die kommunale Gesellschaft Pro Potsdam kürzlich erarbeitet. Und Teile Dresdens sind seit 2004 Welterbe, wegen des Baus der Waldschlösschenbrücke wurde die Stadt zum Mittelpunkt einer Sinndebatte über den Status Welterbe.
Bauen und verzichten oder nicht bauen und sich dem Druck des Kulturhüter beugen? In der Dresdner CDU gibt es dazu eine klare Meinung. Bauen. In Potsdam, wo 25 Prozent der Stadtfläche Welterbe sind, ist man diesbezüglich vorsichtiger. Immer wieder schwingt die Aberkennungsurkunde der Welterbehüter über Bauvorhaben. Dabei „ist das eine undemokratische Organisation“, sagt Lars Rohwer. Er ist der Dresdener Niekisch, Landtagsabgeordneter und CDU-Kreischef – nur nicht so umstritten. Undemokratisch empfindet der 35-Jährige die Unesco, weil sie keine Beschlüsse zu den jeweiligen Standpunkten fasst. Einzig über die Aberkennung der Titel wird befunden. Das kam bislang einmal vor.
Ob Dresden den Welterbestatus brauche? Rohwer verneint. Bad Muskau habe das beispielsweise nötig, damit Touristen kommen. In Dresden strömen sie ohnehin über den Neumarkt, Brühlsche Terrasse, Zwinger und durchs Grüne Gewölbe. „Und ich wage zu bezweifeln, dass Potsdam diesen Titel braucht“, sagt Rohwer.
Probleme, Aufgaben und Entwicklungen beider Städte sind ähnlich. In beiden Bundesländern wird die Bevölkerungszahl insgesamt sinken, die Städte hingegen wachsen. Dresden ist dabei wie Potsdam Boomtown – im Maßstab drei zu eins. Es ist die Formel des Vergleiches von Statistiken zwischen beiden Landeshauptstädten: Dresden hat mit 1,2 Milliarden Euro ein dreifach größeres Haushaltsvolumen, es hat mit 500 000 Einwohnern mehr als dreimal so viele Einwohner wie Potsdam, es gibt im Verhältnis genauso viel für die Kinderbetreuung in Hort und Kita aus wie Potsdam und ist in der aktuellen Prognos-Studie zum Thema Kinderfreundlichkeit als kinderfreundlichste Großstadt ausgezeichnet worden – Potsdam ist gleichzeitig kinderfreundlichste Stadt geworden. Schon seit Jahren sehen sich die Potsdamer in Konkurrenz zu Dresden. An der Elbe wird sich dagegen lieber mit Prag, Berlin und München gemessen. Eine Landeshauptstadt zieht keine Investoren an – eine Metropole schon.
In einem hat es Dresden aber deutlich einfacher. Die Stadt ist nicht mehr verschuldet und hat sich per Beschluss ins Buch geschrieben, keine neuen Schulden zu machen. Der Haushalt ist ausgeglichen, 400 Millionen Euro werden jedes Jahr investiert. Davon jedes Jahr 60 Millionen Euro in Schulen. Eine Summe, bei denen die Potsdamer Christdemokraten raunen. Das sind zehn Millionen Euro mehr als Potsdam innerhalb der nächsten vier Jahre zur Sanierung von Kitas und Schulen bereit stellen will.
Geschafft hat die CDU Dresden dies durch den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft WoBa an US-amerikanische Investoren. Knapp eine Milliarde gab es für die Stadt, zusätzlich sind die 700 Millionen Euro Schulden der WoBa übernommen worden. 14 Prozent des gesamten Dresdner Wohnungsbestandes haben sie damit veräußert, die Mieten seien seitdem nicht stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. „Wir haben einen Wohnungsleerstand von über zehn Prozent“, sagt Rohwer. Damit wirke sich ein Verkauf auch nicht gleich auf die Mieten aus. Anders in Potsdam, wo ein Leerstand von weniger als drei Prozent herrscht. „Da würde ich von einem kompletten Verkauf abraten“, so Rohwer. In regelmäßigen Abständen wurde in Potsdam mit dem Verkauf der Gewoba samt ihrer halben Milliarde Euro Schulden geliebäugelt, doch der geringe Leerstand und der hohe Anteil an der Gesamtwohnungszahl – ein Viertel aller Wohnungen gehören der Kommune – machen den Verkauf zu einem weiteren Risiko für die Mieten.
In der Dresdener CDU freut man sich über den Coup, an dem auch die Linke beteiligt war. Die Argumentation beim Buhlen um deren Stimmen: Wenn verkauft würde, könnte die Linke alle ihre Wahlversprechen halten, sagt Rohwer mit einem schnippischen Lächeln im Gesicht. Dadurch konnte vieles weiter finanziert werden. Im Nachhinein hat das uneinheitliche Stimmverhalten der Linken auch das Regieren wieder erleichtert. Denn einigen von ihnen haben sich pünktlich zum Tag der deutschen Einheit von der übrigen Stadtratsfraktion (in Potsdam Fraktion der Stadtverordnetenversammlung) abgespalten und damit die Linke geschwächt. „Das ist eine Revolution in der PDS“, sagt Rohwer. Für Niekisch und seine CDU-Kollegen bleibt die Hoffnung, dass dies in Potsdam eines Tages auch passiert. Die Realos spalten sich vom linken Flügel, der Früher-war-nicht-alles-schlecht-DDR-Legitimierer ab. Solche Dinge erwartet Niekisch in seiner Stadt allerdings nicht. Die Linke sei ideologisch zu stark geprägt, die CDU müsse aus eigener Kraft wachsen. „Wir hecheln etwas hinterher“, sagt er zur Entwicklung der Christdemokraten in Potsdam. In Dresden stellt die CDU dagegen fünf der sieben Bürgermeister (in Potsdam sind das die Beigeordneten). Nun wird auch eine Frau als Oberbürgermeisterkandidatin nominiert – im Hoffen auf den Merkel-Effekt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: