Landeshauptstadt: Waffeln fürs Familienimperium
Lothar Köpke wollte lieber Jongleur bleiben. Aber die DDR ließ ihn nicht. Darum wurde er Schausteller
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Früher, wenn Lothar Köpke seine drei Kinder fragte: „Wer kommt mit in den Waffelwagen?“, war Mandy die erste, die rief: „Ich nicht“. Nicht weil sie keine Waffeln mag. Sondern weil sie das Putzen hasste. „Das ist alles so schleimig, am schlimmsten war der Schneebesen.“ Den Waffelteig musste sie aus den einzelnen Speichen puhlen. Sie musste trotzdem immer mit in den Waffelwagen. Heute steht Mandy wieder dort. Auf dem Regal hinter ihr stehen sechs Waffeleisen. Daneben ein Eimer mit Teig. Acht Liter reichen für einen Tag. 20 Eier hat sie hineingeschlagen und vier Kilogramm Mehl. Auf dem Boden vor ihr steht eine Plastikflasche in Riesenformat, gleich neben der ZehnKilo-Puderzucker-Tüte. „Zehn Liter Rapsöl sind da drin“, sagt sie. Die Küchenutensilien in Übergroße lassen den kleinen Wagen noch kleiner erscheinen. 5,50 Meter ist er lang, und so eng, dass höchsten vier Menschen hineinpassen.
Der Schneebesen für den Waffelteig hängt jetzt sauber hinter ihr an der Wand. Mandy ist mittlerweile 33, obwohl sie mit den blonden Zöpfen unter der weißen Kochmütze immer noch ein bisschen wie ein Mädchen aussieht. Ihr Vater ist jetzt 62 Jahre. Als er begann, Waffeln für den Potsdamer Weihnachtsmarkt zu backen, war Mandy noch nicht einmal geboren. 35 Jahre ist das jetzt her. Ihre Mutter saß hochschwanger im Wagen und verkaufte die ersten Waffeln. Das Rezept dafür hat Lothar Köpke von einem Caputher Bäckermeister entwickeln lassen. „Ich habe gebacken und gebacken und nie ist was draus geworden,“ erzählt er auf dem Weihnachtsmarkt. Da habe er sich lieber an einen Fachmann gewandt.
Denn eigentlich ist Köpke Artist. „Wir waren ja alle Zirkusleute“, sagt er. Seine Frau war Kunstreiterin. Köpke wuchs in der Lausitz auf. Im elterlichen Haus wohnte auch eine Artistengruppe. Von den Mitgliedern lernte er jonglieren, mit fünf Bällen gleichzeitig. Nach der Lehre zum Heizungsinstallateur ging er nach Potsdam zum Zirkus Alberti. „Mein Vater hatte gesagt: Erst die zehnte Klasse, dann einen Beruf und danach kannste machen, was de willst.“ 20 Jahre war er damals alt. Er verliebte sich in die Tochter des Zirkusdirektors und heiratete.
Aber in der DDR waren Privat-Zirkusse beim Staat unerwünscht. Und als Schwiegervater Carl Schmidt, genannt Opa Bubi, starb, verboten die Behörden, dass die Söhne das Unternehmen weiterführten. So wurde die gesamte Familie Schausteller. Er brauche die Freiheit, sagt Köpke. Die habe er am Zirkus geliebt und die liebe er auch an der Schaustellerei. Seine Schwäger fahren seitdem mit Spielbuden auf Märkte und Volksfeste und Lothar Köpke stellte sich mit einem Waffelwagen und einem Karussell auf – einer sogenannten Schlickerbahn, mit rasenden Gondeln. Später kamen ein Süßigkeitenstand mit Zuckerwatte, Mandeln und kandierten Äpfeln, ein Eiswagen und das Kinderkarussell hinzu. Von März bis Oktober geht die Familie gemeinsam auf Tournee zu Schützen-, und Volksfesten und -märkten in Brandenburg und Mecklenburg. Und jeden Dezember stehen sie auf dem Weihnachtsmarkt in ihrer Heimatstadt.
Der Vater sitzt im Karussell. Mandys Schwester Sandra verkauft mit ihrem Bruder und ihrer Tochter Zuckerwatte. Gut, dass Mandys Mann Michael auch Schausteller ist. Er entstammt einer alten Puppenspieler-Familie aus Unna. Wegen seiner Frau zog er nach Potsdam und gründete hier das Potsdamer Figurentheater. Auch Sandras Mann reist immer mit. Er hat eine Auto-Scooter-Station. „Bei uns lernen die Mädels ihre Männer auf den Familienfesten kennen“, erklärt Mandy Maatz. Die seien riesig. Zum 60. ihres Vaters waren 120 Gästen erschienen, alles Verwandtschaft. „Es ist sehr schön mit so einer großen Familie“, sagt Köpke. „Wenn wir auf einem Festplatz ankommen, sind wir fix und fertig. Aber immer grillen wir danach – alle zusammen.“ Mit 20 Camping- und zehn großen Wohnwagen ist die Familie jedes Mal unterwegs. Und so lange Lothar Köpke es gesundheitlich schafft, will er nicht aufhören, mitzureisen. „Wir sind immer zusammen“, sagt Mandy, die heute wie ihr Mann den Nachnamen Maatz trägt. „Wenn meine Schwester mal eine Stunde weg ist, rufen wir uns sofort gegenseitig an“, sagt sie. Als Kinder hätten sie die Familie überall hin begleitet. „Wir haben jede Woche die Schule gewechselt“, sagt Mandy Maatz. Nur im Winter sind sie zu Hause in Altdrewitz zur Schule gegangen. In die POS 10, heute sitzt dort die Schillergrundschule. Trotzdem sei sie in Potsdam immer Klassenbeste gewesen, sagt Mandy Maatz. Sogar ihre alten Potsdamer Lehrer erkennen sie noch, wenn sie an ihrem Wagen vorübergehen. Mittlerweile gehen ihre Kinder im Winter dort zur Schule. Am Nachmittag passt Mandys Mutter auf die drei auf.
Mandy im Waffelwagen verkauft heute auch Mutzen. Nach der Wende hatte sie das Gebäck auf einem Volksfest im Westen entdeckt. Den Hefeteig dafür liefert Bäcker Braune. Einmal hatte sie sich nur mit Mutzen, ohne Waffeln auf den Weihnachtsmarkt gestellt. Aber da haben die Leute gefragt: „Bist Du nicht das Mädchen mit den Waffeln?“ Seitdem verkauft sie Mutzen und Waffeln. Und nach Weihnachten? Da muss sie die nächste Tournee vorbereiten, Wagen reparieren und umschmücken. Aber vorher macht Mandy Maatz eine Woche Urlaub in Österreich. Mit der ganzen Familie. J. Wedemeyer
J. Wedemeyer
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