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Kalte Aussichten. Durch veränderte Zirkulationsmuster im Nordatlantik werden lange Kältephasen wie in diesem März häufiger möglich.

© dpa

Homepage: „Wärme, die Kälte bringt“

Die Potsdamer Polarforscherin Doerthe Handorf erklärt, was der kalte März 2013 mit dem abtauenden Arktiseis zu tun hatte

Stand:

Frau Handorf, hat Sie der lange Winter überrascht?

Der kalte März hat uns alle ziemlich überrascht. Der Winter im meteorologischen Sinne, also von Dezember bis Februar, war allerdings eher normal. Was im Vergleich zu den eher warmen Wintern der 1990er-Jahre dennoch gefühlt kalt erschien. Der März war dann aber außerordentlich kalt.

Sie haben eine Erklärung dafür.

Die Strömungssituation, die zu diesem ungewöhnlichen Wetterphänomen geführt hat, unterscheidet sich fundamental von der aus den 1990er-Jahren. Ursache ist die Nordatlantische Oszillation (NAO), die das Wetter in Europa bestimmt. Diese Druckschaukel zwischen Islandtief und Azorenhoch war im März dauerhaft in eine negative Phase getreten, das Islandtief und das Azorenhoch waren deutlich abgeschwächt. Dadurch war die normalerweise vorherrschende Westströmung über dem Atlantik, die feuchtwarme Luft nach Europa bringt, sehr schwach. So konnten sich über Nordeuropa sehr stabile Hochdruckgebiete bilden, die arktische Luft zu uns lenkten.

Wie kam es dazu?

Die Analyse der Wintermonate hat gezeigt, dass das Abnehmen des arktischen Meereises im Sommer und Frühherbst mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, dass die Nordatlantische Oszillation ins Negative dreht. Wir haben Ideen, welche physikalischen Mechanismen dafür verantwortlich sind. Bestätigt werden unsere Annahmen auch von Studien der Kollegen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Es zeigt sich, dass es sich um mehr als einen statistischen Zusammenhang handelt. Wir haben nun auch die Märzmonate seit 1980 angeschaut.

Mit welchem Ergebnis?

Auch hier ist zu erkennen, dass das verringerte Arktiseis eine Rolle spielt. Dies ist jedoch nicht der einzige Einfluss auf die Nordatlantische Oszillation. Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass beispielsweise der Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxidgehaltes, Prozesse in den Ozeanen oder Prozesse in den Tropen für die Nordatlantische Oszillation ebenfalls eine Rolle spielen.

Die vergangenen Winter waren ebenfalls recht kalt.

Das lag an ähnlichen Strömungsverhältnissen wie in diesem März. Wenn das Eis in der Arktis im Spätsommer stark zurückgegangen war, stellten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit im darauffolgenden Winter solche Veränderungen der Nordatlantischen Oszillation ein. In welchem Monat das passiert und ob es länger anhält, können wir mit unseren Methoden allerdings noch nicht sagen.

Das abtauende Arktiseis hat sogar einen doppelten Effekt.

So ist es. Auf der einen Seite geht die weiße Reflektionsschicht über der Arktis, die das Sonnenlicht wie ein Spiegel ins All zurückstrahlt, verloren. So wird der dunkle Arktische Ozean stärker erwärmt. Auf der anderen Seite fehlt im Herbst die Eisdecke, die verhindert, dass die im Wasser gespeicherte Wärme wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Die Luft über der Arktis wird also in den Herbstmonaten stärker als gewöhnlich erwärmt.

Das klingt paradox: Wasser und Luft werden wärmer, und wir müssen uns trotzdem mit Kaltlufteinbrüchen herumschlagen?

Durch die Erwärmung der Arktis im Herbst wird der großräumige Temperaturunterschied zwischen den Polargebieten und Tropen abgeschwächt. Doch dieser Temperaturgradient ist einer der Antriebsfaktoren für die Westwindströmung in unseren Breiten. Dadurch wird sie abgeschwächt und instabiler. So steigt die Häufigkeit für eine Luftströmung aus arktischen Regionen nach Europa. Die großräumige Zirkulation hat sich verändert. Hinzu kommt, dass die Erwärmung im Herbst zu verstärktem Schneefall insbesondere über Sibirien führt. Dadurch wird das sibirische Hoch verstärkt. Dabei handelt es sich um ein zweites großes Druckzentrum, das ebenfalls für die großräumige Strömung in der Nordhemisphäre verantwortlich ist. Zusammen mit der abgeschwächten Westströmung führt das dazu, dass die nordatlantische Druckschaukel häufiger als in früheren Jahren in eine negative Phase kippt.

Gerade Mitteleuropa scheint von diesem Phänomen häufiger betroffen zu sein.

Das liegt daran, dass das Druckmuster der Nordatlantischen Oszillation den größten Einfluss auf Nord- und Mitteleuropa hat.

Eigentlich hatte uns die Klimaforschung in den vergangenen Jahren immer wieder wärmere und feuchte Winter vorhergesagt. Das war wohl etwas übereilt?

Das Klimasystem ist hochgradig nichtlinear und komplex. Auch muss man stark unterscheiden zwischen der globalen Mitteltemperatur und den regionalen Auswirkungen. Eine globale Erwärmung muss nicht bedeuten, dass es flächendeckend wärmer wird. Zudem ist der Einfluss der Nordatlantischen Druckschaukel auf das Winterwetter in Europa nur ein Aspekt. Es gibt eine Vielzahl weiterer Einflüsse, die das Wettergeschehen bestimmen.

Werden nun auch die Sommermonate bei uns kühler?

Bislang haben wir nur die Wintermonate analysiert, für den Sommer haben wir noch keine Ergebnisse. Die Mechanismen, die wir entdeckt haben, sprechen allerdings dafür, dass der Zusammenhang im Sommer sehr viel schwächer ist, wenn überhaupt noch feststellbar. Wie gesagt ist das allerdings noch eine Hypothese.

Müssen wir jetzt jedes Jahr bis April auf die ersten Krokusse warten?

Nein, jedes Jahr bestimmt nicht. Allerdings gehen wir davon aus, dass solche Wetterlagen nun häufiger auftreten werden als es in den 90er-Jahren der Fall war.

Handelt es sich um ein vorübergehendes Phänomen oder um eine langfristige Umstellung?

Es wird immer Schwankungen geben. Neben den äußerlichen Einflüssen auf das Klimasystem gibt es auch eine natürliche Variabilität, etwa durch Einflüsse der Sonnenaktivität und Vulkanausbrüche. Hinzu kommen Schwankungen innerhalb des Klimasystems, da dieses nicht linear ist. Darüber ist das Verständnis der Forschung allerdings noch sehr gering. Eine Prognose ist bislang unmöglich.

In dieser Woche soll es nun endlich wärmer werden. Ohne Rückfälle?

Es spricht einiges dafür, dass die nordatlantischen Druckverhältnisse sich in eine neutrale oder sogar leicht positive Phase bewegen und somit wieder Warmluft nach Europa dringen kann. Aber es kann sich immer mal wieder ein skandinavisches Hochdruckgebiet ausbilden, das auch im April noch relativ kalte Luft zu uns bringen kann. Mit der höher stehenden Sonne im Spätfrühling und Frühsommer wird das dann allerdings immer unwahrscheinlicher.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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