
© A. Klaer
PYAnissimo: Warte, warte nur ein Weilchen...
Wo geht man hin, wenn man es im Dezember schön kuschelig haben will? Zur Post.
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Wo geht man hin, wenn man es im Dezember schön kuschelig haben will? Zur Post. Es ist ein trauliches Plätzchen, trocken und windgeschützt, wenn nicht sogar richtig warm. Hier ist jeder willkommen, niemand wird fortgeschickt. Abseits vom weihnachtlichen Trubel allerorten, dem sensorischen Overkill auf dem Weihnachtsmarkt und der Rennerei über Kaufhausrolltreppen, herrscht hier Ruhe und Besinnlichkeit. Alles ist mit adventlichem Tinnef geschmückt, ganz warm wird es einem ums Herz.
Es ist ein Ort, wo man viele Gleichgesinnte trifft. Alle wollen nur eins. Dran kommen. Ich weiß gar nicht, warum sich die Leute immer wieder darüber aufregen, wenn das so lange dauert. Warten hat im Advent Tradition. Man wartet auf den ersten Schnee und den Nikolaus. Auf den Tag, an dem man das erste Türchen öffnen kann. Die erste Kerze am Kranz anzünden. Man wartet auf Urlaub, den letzten Schultag, auf den Mann, der einen Baum kaufen wollte und immer noch nicht zurück ist. Warten lässt einen so wunderbar fokussieren. Manchmal macht es auch demütig. Und es lässt Raum für Gedanken, die man sonst nicht hat. Mordgelüste zum Beispiel. Oder dass man nie, aber auch wirklich nie wieder Weihnachtskarten schreiben und nie wieder erst im Dezember die Unterlagen per Einschreiben an die Versicherung schicken wird und dass sich die Kinder und Tanten nächstes Jahr ihre Päckchen gefälligst persönlich abholen können. Solche Gedanken.
Wenn man nicht abgelenkt wird, in einer Post gibt es ja viel zu sehen. Post-TV, Nachrichten ohne Ton. Aufsteller mit Unicef-Karten, Katzenkalender, Traumimmobilien inklusive abenteuerlicher Finanzierungsvorschläge. Daneben steht ein Automat für die Schufa-Auskunft to go. Für schlappe 29,95 Euro. Das bekommt man online zwar kostenlos, aber wenn man nur lange genug sich die Beine in den Bauch steht, ist man nicht mehr kleinlich und freut sich über jede Zerstreuung.
Ansonsten bleibt einem ja nichts weiter übrig, als den Betrieb hinterm Schalter zu beobachten. Das langsame Voranschreiten der Bittsteller mit Paketen und Briefsendungen, gelben Scheinen und Aktenbündeln. Das sind die Schlimmsten. Die Länge der Bearbeitungszeit hat nämlich nichts mit der Größe der Pakete zu tun. Aber wenn jemand auf dem Tresen der Postfrau einen Quadratmeter Unterlagen ausbreitet, in zittrigem Sütterlin ausgefüllte Vollmachten seiner Oma für sämtliche Postsparkonten ihrer sechs Urenkelkinder, dann ist Gefahr in Verzug. Dann hofft man, dass die anderen Postfrolleins gut gefrühstückt haben. Nichts ist grässlicher, als wenn man der nächste ist und die Dame von ihrem Gang ins weitläufige Hinterland einfach nicht wiederkehrt. Man ahnt, sie sitzt über dampfendem Kaffee, und natürlich hat sie sich den redlich verdient. Aber, denkt man flehentlich, doch nicht ausgerechnet jetzt!
Dabei, wie gesagt, ist es doch schön in der Post. Wenn man jetzt noch ein paar Räuchermännchen und Klappstühle aufstellen und Notenblätter mit Weihnachtsliedern auslegen würde, wenn aus dem defekten Briefmarkenautomaten, gleich neben dem Glühweinzapfhahn, Spekulatius ploppen würde, dann wäre die Sache perfekt. Aber so ist das eben mit unserem Verhältnis zur Post. Wir wollen einfach immer zu viel, anstatt mal zufrieden zu sein.
Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg
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