Landeshauptstadt: Warten aufs Budget
Behindertenverband: Zu wenig Barrierefreiheit
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Seit 2008 können sich Behinderte im Rahmen eines Modellversuchs um ein persönliches Budget bemühen. Damit verfügen sie dann selbständig über die Gelder, die ihnen je nach Art und Grad der Behinderung zustehen. Dies bedeutet einen wichtigen Schritt zu einem selbst bestimmten und selbständigen Leben. Allerdings tue sich das Land Brandenburg im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders schwer mit der Zuerkennung solcher Budgets, sagte der städtische Behindertenbeauftragte Karsten Häschel am Rande des Sommerfestes, das der Potsdamer Behindertenverband am Samstag feierte. Unter den Teilnehmerinnen war auch Nina Waskowski, deren Antrag auf solch ein Budget nun schon mehr als zwei Jahre auf eine Entscheidung wartet.
In Potsdam leben mehr als 20 000 offiziell registrierte Schwerbeschädigte mit Ausweis, die Dunkelziffer sei hoch, sagte Häschel. Da nimmt sich die Mitgliederzahl von 49 für die Potsdamer Gruppe bescheiden aus, doch ihre Aktivitäten sind umso größer. Auch gibt es vom Sozialwerk bis zum Gehörlosenverband noch zahlreiche andere Behindertenvereine. Eins der wichtigsten Themen ist die Barrierefreiheit. Dabei arbeitet der Verband mit dem Bürgerverein „Brandenburger Vorstadt“ und der Stadtverordneten Maike Dencker (CDU) und für die Jägerstraße mit Evelin Spielhagen vom Verein „Freies Tor“ zusammen.
Erstmals taucht dank dieser Bemühungen der Begriff Barrierefreiheit 2010 im Stadthaushalt auf. 80 000 Euro wurden für das Gebiet um die Erlöserkirche bereitgestellt, die Jägerstraße wird neu und damit behindertengerecht gestaltet. Auch im öffentlichen Nahverkehr tat sich etwas, nachdem die zweite Vorsitzende des Verbandes, Carola Fischer, auf einen Bürgerforum tüchtig vom Leder gezogen hatte. Busse erhielten Rampen und einem zweiten Stellplatz für Rollstuhlfahrer, weitere für sie leichter erreichbare Niederflur-Straßenbahnen sollen angeschafft werden. Dies seien aber, verglichen mit den immensen Aufwendungen für andere Bereiche, lediglich Ansätze zu einem Umdenken, erklärte Behindertenbeauftragter Häschel. Von der Sperrung von Uferwegen bis zum Vollstellen des Straßenraums der Innenstadt mit Gaststättentischen reichten die Beispiele, wie wenig entwickelt die Achtung gegenüber den Behinderten und ihren Problemen sei.
Neben einer Arbeitsgruppe Bau und Verkehr gibt es im Verband auch eine für Arbeit und Soziales, die unter anderem bei Neueinstufungen des Behindertengrades beratend eingreift. Die Gruppen sind ein wirksames Instrument auch bei der Klärung alltäglicher Fragen. „Wenn im Hochhaus der Fahrstuhl ausfällt, ist das für die meisten Bewohner kein so großes Problem, für Behinderte aber schon“, erklärte Carola Fischer. „Da klemmen wir uns dann sofort dahinter.“
Der im April neu gewählte, noch sehr junge Vereinsvorsitzende Jan Krech kann sich auf ein starkes Team stützen. Durch ein Leiden von Kindheit an auf den Rollstuhl angewiesen, hat er sich nach einer Ausbildung zur Bürokraft für ein eigenständiges, selbst bestimmtes Leben entschieden. Eine dauerhafte Arbeit konnte ihm bisher nicht vermittelt werden, er hat aber eine behindertengerechte Wohnung bekommen - „ein Glücksfall, denn davon gibt es in Potsdam viel zu wenig“, wie er sagt. Hier sieht Krech wie auch im Einfluss auf die Arbeitsvermittlung ein wichtiges Wirkungsfeld.Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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