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Von Gerrit Gohlke: Warten hilft nicht

Potsdam braucht eine neue Allianz für zeitgenössische Kunst

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Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, wo eigentlich die Kunst herkommt? Dumme Frage, könnte man antworten. Kunst wird von Künstlern gemacht. Sie entsteht sozusagen aus Schweiß und Inspiration und wird am Ende teuer bezahlt. Das Genie hat einen Einfall. Dann eilen die Kunstexperten herbei und kümmern sich um den Rest. Brave Bürger hingegen können sich solchen Schabernack nicht leisten und haben anderes zu tun, als sich um die Hervorbringungen kreativer Geister zu sorgen. Und hält nicht der Staat seine schützende Hand über die Künstler, gründet Akademien, lobt Preise aus und baut Ausstellungshäuser, deren Personal er monatlich Gehälter überweist? Geht es der Kunst unter diesen Umständen nicht blendend?

Vor einigen Jahren hätte man an dieser Stelle vielleicht noch zögernd zugestimmt. Doch die gute alte Zeit ist längst vorbei. Inzwischen wird immer unklarer, woher neue Kunst eigentlich noch kommen soll, weil wir zwar viele schöne Werke ausstellen und betrachten und mit der Kunst von gestern unglaublich viel Geld verdienen – für die Kunst von morgen aber immer weniger Verantwortung übernehmen. Sicher, der Staat kümmert sich noch immer um die Kunst und die Kunstausbildung. Doch tut er dies inzwischen mit anderen, handfesteren Interessen als früher, und dabei bleibt gerade die innovative Kunst, die wir morgen brauchen werden, die Produktion in den Ateliers heillos auf der Strecke.

Aus Kunstförderung ist nämlich Zweckförderung geworden. Kunst wird von der öffentlichen Hand als Werkzeug, als Dienstleistung verstanden, die man an der Erfüllung politischer Ziele messen darf. Kunst soll Bildungsaufgaben erfüllen. Sie soll unterhalten und den Tourismus fördern. Wie überall in unserer Gesellschaft kommt es dabei auf Menge und Masse an. Wie im Kino ist es immer wichtiger geworden, Stars zu zeigen. Gute Kunst ist prominente Kunst, weil nur prominente Künstler die Massen anziehen. Der Nachwuchs aber, das Experiment ist aus dem Blick geraten. Der große, museale Kunstbetrieb gleicht einer riesigen Fabrik, deren Direktoren so begeistert vom erfolgreichen Heute sind, dass sie sich nicht mehr um Morgen kümmern. Sie haben das Budget der Forschungs- und Entwicklungsabteilung einfach zusammengestrichen. Die Kunst von morgen wird zur Hungerleiderin.

Und so reden wir über Nachhaltigkeit, wenn es um Gemüseanbau und Windenergie geht. In der Kultur aber leben wir von den Ressourcen von gestern. Der Staat wird schon dafür sorgen, dass es weitergeht. Es ist längst eine der Überlebensfragen unserer Gesellschaft geworden, sich mit frischer Kreativität, unkonventionellem Denken und dem Wissen von morgen zu versorgen. Kunst ist nicht nur die freieste Art, mit der eine Gesellschaft über sich selber nachdenken kann. Sie ist auch eines der effizientesten Werkzeuge, mit denen wir uns vom Schubladendenken befreien. Wenn wir nicht nur immer mehr Flexibilität predigen, sondern auch mehr Verantwortung im Umgang mit den Problemen übernehmen wollen, brauchen wir eine Kultur von allen für alle. Wir brauchen mehr Kunst. Es ist unsere Sache, darüber zu entscheiden, wie simpel gestrickt oder wie intelligent diese Kunst ist. Es ist unsere Aufgabe als Bürger, für die Kunst zu sorgen, die zum Heute passt und nicht so lange von gestern zu träumen, bis die Zukunft an uns vorbeigegangen ist.

Wie war das nun mit dem Steuergeld? Ja, wir haben das Recht, mehr Anstrengungen von der öffentlichen Hand zu verlangen. Das gilt gerade für Potsdam, die Wissenschaftsstadt. Wo Forschung zu Hause ist und neue Lösungen entstehen, da muss die Kunst ein privilegiertes Gastrecht genießen und neue Fragen stellen. Potsdam braucht einen kräftigen Zuwachs bei seinen Ausgaben für zeitgenössische Kunst. Aber wir können es uns in einer wohlhabenden und leistungsfähigen Stadt nicht leisten, mit dem Finger auf die Verwaltung zu zeigen, als sei der Kulturbetrieb ein Warteraum. Zwar zahlen die Bürger vom Kunstvereinsbeitrag bis zur Theaterkarte ihren Obolus für die Kultur. Wir brauchen aber vor allem in den neuen Bundesländern eine neue Allianz für die Gegenwartskunst. Galerienstandorte müssen wachsen. Frischer Wind muss durch den Ausstellungsbetrieb wehen. Die Produktion von morgen braucht heute Paten, die wissen, dass zukunftsbewusste Kommunen in ihr kulturelles Selbstverständnis investieren.

Es ist also an der Zeit: Bürger und Unternehmen müssen sich mit den kulturellen Akteuren und der Verwaltung an einen Tisch setzen und einen Fonds zur Förderung zeitgenössischer Kunst- und Designproduktion gründen. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir Herausforderungen wie den demografischen Wandel, die Globalisierung nur dann bewältigen können, wenn wir in kulturelle Identität investieren. Kunst ist kein Luxus. Kultur ist der Spiegel, in dem wir uns erkennen, wenn die Probleme größer werden und wir gemeinsam Lösungen finden müssen.

Ein Netzwerk Junge Kunst ist kein utopisches Projekt. Vom IHK-Präsidenten bis zum Oberbürgermeister, vom privaten Sammler bis zum Studenten oder Freiberufler brauchen wir ein Potsdamer Modell, das zeigt, wie in den Zentren der neuen Länder mehr experimentelle Kunst entstehen und vermittelt werden kann. Wir brauchen eine Allianz der Zukunftsverrückten. Wäre es nicht ein Aufbruchssignal, wenn die Politik dieses Mal nicht ernüchtert in die leere Kasse schaute, sondern den Startschuss gäbe und ihre Verbindungen und Kontakte anböte, damit am Ende wir, die Bürger, die Ärmel aufkrempeln? Das wäre Zukunftsförderung, wie man sie preiswerter nicht haben kann. Die Arbeitsgemeinschaft Gegenwartskunst in Potsdam fordert ein Netzwerk Junge Kunst. Mit ihm gäbe Potsdam auch den anderen ostdeutschen Städten ein Signal, wie die Kunst- und Kulturförderung mit neuem Optimismus in der Zukunft ankommt.

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