
© Manfred Thomas
Von Hella Dittfeld: Warum Alice im Ofen steckt
Das Kindertheater Integrazia um Alice Keiler bringt deutsche und russische Kinder zusammen
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Alice Keiler hat noch immer ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, wenn sie ihre Gefühle und Ambitionen ausdrücken will. Wahrscheinlich, weil so viel Gefühl und engagierte Lebensart unbedingt eine andere Ausdruckskraft als das Deutsche braucht. In ihrer Muttersprache Russisch klänge manches sicher viel eleganter und tiefgründiger, zumal sie sich da in allen Höhen und Tiefen auskennt, in der Alltagssprache ebenso wie in der Literatur. Die Russin mit deutschen Wurzeln hat Slawistik und Philologie studiert, ließ sich als Choreografin ausbilden und absolvierte von 2004 bis 2009 ein Regiestudium in St. Petersburg.
Obwohl sie seit 1995 in Potsdam lebt, sollte es unbedingt ein Studium an einer der berühmten russischen Theaterhochschulen sein, denn „ein russisches Regiestudium ist ganz anders als ein deutsches“, sagt Alice Keiler. Dort müsse man Kenntnisse in allen Theatersparten vorweisen, erklärt sie. Das reiche von der Theatergeschichte über die Kostümbildnerei, Musik und Tanz bis zur eigentlichen Regiearbeit. Und genau diese umfassende Ausbildung wollte sich die Mutter zweier Teenager-Töchter aneignen. Und weitergeben.
Alice Keiler ist der Kopf und das Herz der Kunst-Schule Integrazia, in der gemalt, musiziert und Theater gespielt wird. Auch Handarbeiten stehen auf dem Lehrplan und die Beschäftigung mit Mode und Kostümen. In Modeschauen und Theaterstücken wird dann gezeigt, was die Kinder gelernt haben. Dazu kommt, dass beide Sprachen – die russische und die deutsche – gepflegt werden. Durch Interaktionen, sagt Alice Keiler, will sie integrieren. Dabei helfen ihr nicht nur die Kinder und deren Eltern, die als Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion nach Potsdam kamen, sondern inzwischen auch alteingesessene Potsdamer, weil es ihnen Spaß macht oder weil sie einen ausländischen Partner haben. Man könne viel voneinander lernen, meint die Regisseurin, die gleichzeitig auch Kostümbildnerin und Stückeschreiberin ist. Alles werde gemeinsam entwickelt. Und Alice Keiler steckte beim Märchenspiel sogar im russischen Ofen, weil sie als Darstellerin gebraucht wurde.
Die deutschen Kinder hätten bei Diskussionen über Stück und Ausstattung ihren eigenen Kopf und wüssten genau, was sie wollten. Die Migrantenkinder seien meist noch sehr autoritätsgläubig, dafür aber vielseitig und sehr zuverlässig. Ihre Tochter, so Alice Keiler, habe zum Beispiel ihre Rolle als Gretel mit 39 Grad Fieber gespielt. Das sei russische Art, man stecke nicht auf, auch wenn es schwerfalle.
Auf alle ihre Helfer ist Alice Keiler in hohem Maße angewiesen, denn außer einigen Projektförderungen muss sich Integrazia ganz ohne Fremdmittel durchschlagen und lebt allein von den Mitgliedsbeiträgen und von Alice Keilers schier unerschöpflicher Einsatzfreude. Sie selbst versucht zwar ihre Talente als Businessfrau zu vermarkten, doch im Moment lebt sie noch von Hartz IV. „Wer etwas besitzt“, sagt sie, „muss das mit anderen teilen.“ Das sei ihre Devise. Egal, ob das materielle Werte oder eben Talente seien. Für ihre Kunstschule und den Semljaki-Verein arbeite sie bis zu 16 Stunden am Tag, behauptet die junge Frau mit den großen schwarzen Augen, die so herrlich begeistert gucken können.
Angefangen hat für Alice Keiler alles mit dem Kreativ-Theater-Projekt 2001, das seinerzeit von der EU gefördert wurde. Mit vier Migrantenkindern habe sie angefangen, die damals noch erheblich besser russisch als deutsch sprechen konnten. Doch die erste Theateraufführung in russisch wurde ein Flop. Ganze fünf Zuschauer seien gekommen. Für Alice Keiler war das ein Signal, auf deutsch umzusteigen und die Zuschauer unter den einheimischen und schon eingebürgerten Potsdamern zu suchen. Vier Jahre konnte das Kreativtheater am Treffpunkt Freizeit arbeiten, 52 Kinder waren zum Schluss dabei, dann lief die EU-Unterstützung aus und der Treffpunkt kündigte die Zusammenarbeit auf. Trotz ihres Studiums nahm die angehende Regisseurin gleich ein neues Projekt in Angriff, gründete Integrazia und bekam – was sie immer wieder lobt – gute Unterstützung durch die Stadt.
In der Stadtverwaltung fand die Kunstschule neue Räume, dort trifft man sich im Haus 6 zu Kursen und Veranstaltungen und es gibt auch kleinere Theateraufführungen. Mit größeren Aufführungen wich man ins Bürgerhaus am Schlaatz aus und 2007 öffnete der Treffpunkt wieder seine Pforten für Integrazia und ermöglichte Märchenpremieren im Theatersaal. Den findet Alice Keiler allerdings unpraktisch saniert. Er biete viel weniger technische Möglichkeiten als früher. Deshalb ist es ihr großer Traum, mit einem Stück einmal im Hans Otto Theater auftreten zu dürfen. Und natürlich sucht sie weiter nach Förderern und Geldgebern, denn bei allem ehrenamtlichen Engagement: Ohne Geld lösen sich auch Märchen in heiße Luft auf.
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