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Landeshauptstadt: „Was ist denn?“, fragte Herr Richter

Heute vor 13 Jahren sprach Frank-Thomas Mende den ersten Satz bei GZSZ – und er ist noch immer da

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Heute vor 13 Jahren sprach Frank-Thomas Mende den ersten Satz bei GZSZ – und er ist noch immer da Von Sabine Schicketanz Die drei Punks guckten andauernd rüber. Ziemlich auffällig. Dem gepflegten Mann mittleren Alters wurde ein wenig unwohl. Sie trugen dicke Ketten, ihre Haare standen zu Berge. Dann kam einer zu ihm. Er fragte nach einem Autogramm. Ganz höflich. Doch den Namen des Schauspielers, den er da angesprochen hatte, kannte der Punk sehr wahrscheinlich nicht. Denn für ein millionenfaches deutsches Fernsehpublikum ist Frank-Thomas Mende längst zu Clemens Richter geworden. Dem anständigen, netten Werbefachmann, ein wenig stur vielleicht, aber verantwortungsbewusst, dazu attraktiv grau meliert. Heute vor dreizehn Jahren sprach Mende den ersten Satz der ersten täglichen TV-Seifenoper Deutschlands. „Was ist denn?“, lautete er. Seit dem hat „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, von Anbeginn auf dem Babelsberger Studiogelände gedreht, den im erzgebirgischen Annaberg geborenen Mende nicht mehr losgelassen. Dinosaurier, Inventar, unter Artenschutz, das sind die Begriffe, die sich heute für ihn finden lassen, wenn es um GZSZ geht. Und es passiert ihm schon mal, dass er ganz automatisch den Kopf dreht, wenn er im Supermarkt wieder mit „Herr Richter“ angesprochen wird, dass eine junges Ehepaar ihn anstrahlt und sie gesteht: „Wissen Sie, mit Ihnen bin ich aufgewachsen.“ Ja, selbst die Punks vom Kottbusser Damm in Berlin-Neukölln kennen Clemens Richter. Frank-Thomas Mende aber ist immer noch ein ganz anderer als sein Bildschirm-Ich. Seine Offenheit ist es, die überzeugt. Sie steckt in den Gesten, manchmal ausladend wie im Theater, in den wirklich außergewöhnlich großen, hellblauen Augen, die den Blick suchen, statt ihm auszuweichen. In diesem Herbst wird Mende 56 Jahre alt, doch zu fühlen ist das nicht. Die Aufgeschlossenheit, das „über den Tellerrand gucken“, wie er es nennt, hat ihn von Anfang an getrieben. Nach dem Abitur studierte er, Theaterwissenschaft, Germanistik, Anglistik und Philosophie. Er begann in Marburg, doch er wollte weiter raus, „weg von Mutters Rockschößen“. Ging nach London, Wien, Boston. Als er fertig war, 1973, fing er direkt am Theater an. Wie meist in solchen Fällen nicht zur Freude seiner Eltern. „Mein Gott Junge, und dafür haben wir dich studieren lassen“, sagten sie. Fast zehn Jahre, von 1983 bis 1992, arbeitete Mende als freier Schauspieler, fast alles hat er angenommen. „Von Klamotte bis Shakespeare, ein ewig Lernender ist man sowieso.“ Seine Liebe zur Sprache, besonders der deutschen, aber auch der englischen, hatte er allerdings schon lange vorher erkannt. Lang und ausführlich sei er als Kind krank gewesen, habe daher Lesen und Schreiben gelernt, bevor er überhaupt zur Schule kam, und dann Bücher geradezu gefressen. „Dass die deutsche Sprache unelegant ist, ist überhaupt nicht wahr“, sagt Mende. Besonders die Romantiker liebt er, nennt „Des Knaben Wunderhorn“. Und begeistert sich für obsolete Wörter. Demut ist eines davon. Wobei Mende meint, dass in diesem Falle auch die entsprechende Haltung völlig aus der Mode gekommen sei. Ihm jedoch scheint sie genauso wenig fremd wie die angeblich veralteten Wörter. Eine geringschätzige Äußerung über seine Arbeit bei der Seifenoper würde ihm wohl nie über die Lippen kommen, und wenn andernorts über die täglichen Fernsehserien als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für schlechte Schauspieler gelästert wird, quittiert Mende das mit einem müden Lächeln. „Das tut nicht mehr weh.“ Die Frage allerdings, wie er es bloß so lange hat aushalten können bei GZSZ, nervt ihn gewaltig. „Einen Rechtsanwalt oder Arzt würden Sie doch so etwas auch nicht fragen!“ Damals, als man ihm, dem Mann mit zwanzig Jahren Bühnen- und Fernseherfahrung, den Clemens Richter anbot, hatte er noch zwei Freunde um Rat gefragt. „So“ne Chance bekommst Du nur einmal im Leben“, antworteten sie. Er hat es nicht bereut, nie, sagt er. Auch wenn er sich manchmal wünscht, hierzulande würde seine Schauspielerei genauso ernst genommen wie die „ernste“, so wie man es in seiner Wahlheimat England tue. „Boulevard-Schauspieler, das Wort hasse ich wie die Pest.“ Die Engländer lehnten solche Kategorien ab. „Lawrence Olivier war sich nie zu schade für eine Hosen runter-Komödie.“ Die Insel aber scheint auch aus anderen Gründen ein Refugium für Mende. Einmal hatte er dort ein Déjà-vu. Er fuhr eine Straße herunter, und wusste genau, jetzt rechts, dort steht die Kirche, daneben ein kleiner Friedhof, ein Baum in der Mitte. „Als hätte ich da schon einmal gelebt.“ Und seine englischen Freunde bezeichnen ihn als „uncontinental“, nicht vom Kontinent. Das gleiche einem Ritterschlag für einen Ausländer, meint Mende. Doch sein Zugang zum Englischen ist nicht allein die Lebensart. Es ist auch die Sprache, mit der so ganz anders umgegangen wird als mit seiner Muttersprache. „Deutsche glauben immer, sie müssten für die Ewigkeit schreiben.“ Wie die Engländer schreiben, weiß Mende sehr genau. Mehr als 80 Theaterstücke hat er aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, verzückt ins Drechseln und Zwirbeln der Worte, um sie sprechbar zu machen. Fünfmal hat er in eigenen Übersetzungen gespielt, sich mit seinen Texten gemüht. „Deine lernen sich so schwer“, warfen ihm die Kollegen vor – und klagten später scherzhaft: „Der Text geht einfach nicht weg.“ Das Übersetzen sei für ihn Rekreation, nicht Arbeit, sagt Mende. Nur einmal hat er fast kapituliert. „Die Kontinuität der Musik“ hieß der Wälzer, den er ins Deutsche verwandeln sollte. „Diese 400 Seiten haben mich ein Dreivierteljahr meines Lebens gekostet.“ Seitdem arbeitet Mende ausschließlich an Theaterstücken. Oder daran, seinen jugendlichen Kollegen bei GZSZ obsolete Wörter beizubringen. Wobei der Lerneffekt kein einseitiger ist. „Ich erfahre alles, was in ist.“ Ihm könne keiner mit einem Teeniestar kommen, von dem er nicht gehört habe. „Ausgesprochen geil“ sei das. „Es hält mich jung.“ Allein Clemens Richter möchte er nicht mitnehmen in sein Berliner Zuhause. „Wenn ich in Babelsberg aus dem Studio gehe, gebe ich ihn beim Bühnenpförtner ab.“ Doch manchmal, da kommt er einfach trotzdem mit. Und Frank-Thomas Mende muss Autogramme schreiben.

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