Von Henri Kramer: Was Quenntchen Talentino krass findet
Rund 1500 junge Potsdamer sind bei MySpace angemeldet – mit vielen skurrilen Kunstnamen
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Florian Devriel war überrascht. Erst wenige Wochen zuvor hatte sich der Potsdamer HipHop-Musiker bei der Online-Gemeinschaft von MySpace angemeldet, unter dem Kunstnamen „FlowWw a.k.a D-Real a.k.a Quenntchen Talentino“. Plötzlich erhielt Florian diesen Frühsommer eine Nachricht aus New York. Der Rapper Blue Legacy von dem Label Hand2Hand Entertainment hatte den 19-Jährigen angeschrieben. Quenntchen mailte zurück: Wie denn der Kollege aus Amerika seine bei MySpace zu hörenden Songs finde? „Extrem krass“ fand Florian die Antwort des New Yorkers. Der schrieb: „Es macht nichts aus woher du kommst, gute Musik bleibt gute Musik.“ So fasste Florian Mut und fragte den Musiker, „ob wir nicht mal was zusammen machen wollen“. Der seit 18 Jahren rappende Blue Legacy – HipHop braucht solche Künstlernamen – war einverstanden. Er schickte eine Aufnahme mit seinem Sprechgesang an Florian. Florian legte einen eigenen Rhythmus darunter, der Song ist auf seinem MySpace-Profil zu finden. Blue Legacy habe der Song gefallen. „Diese Verbindung will ich ausbauen“, erzählt der Musiker.
Florian ist einer von vielen jungen Potsdamern, die sich auf der Seite kostenlos mit Name und Mailadresse angemeldet haben. 1499 Mitglieder der Community im Alter von 18 bis 25 Jahren finden sich, wenn die Suchfunktion der Homepage alle Nutzer mit der Postleitzahl „14467“ im Umkreis von fünf Kilometern angeben soll. Das ist etwa jeder zehnte Potsdamer dieser Altersgruppe. 692 der 1499 sind Frauen, also knapp die Hälfte. Und wie in der heutigen Stadt-Realität üblich, dominieren junge Singles, 917 Potsdamer Nachwuchs-MySpacer führen keine Beziehung. Nur 48 sind verheiratet. Die Gemeinschaft bietet für Außenstehende viele skurrile Namen: Von „Beach-a-holic“ bis „AtzePornobrille“ reicht die Potsdamer Kreativität. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Menschen bei MySpace angemeldet, jeder Nutzer kann sich kostenlos ein Profil mit Fotos, Videos, Musik, Blogs und vielem mehr einrichten. Fast jede Band der Welt findet sich dort.
Das war auch einer der Gründe, warum sich Nicole Dau im September 2006 bei MySpace registriert hat. „Ich habe hier viele Bands kennengelernt, auf die ich sonst nie aufmerksam geworden wäre“, sagt die 20-Jährige. In der virtuellen Welt heißt die Auszubildende „Metal Eule“, ihr Profil ist überwiegend dunkel gehalten. So wie Nicole ticken viele: Eine aktuelle Umfrage der Uni Paderborn unter MySpace-Nutzern zeigte, dass die Seite „erste Wahl“ bei der Entdeckung von neuen Sounds sei.
Doch nicht nur deswegen ist Nicole angemeldet: Seit sie Teil der Internetgemeinschaft ist, hat sie innerhalb von zwei Jahren rund 700 „Freunde“ gesammelt – also andere Nutzer und Bands, die direkt mit ihrem Profil verbunden sind. „Ich stehe so mit vielen Freunden in Kontakt, die ich nicht oft sehen kann, weil sie zum Beispiel weggezogen sind“, sagt die Potsdamerin.
Doch gibt es an solchen öffentlich nachvollziehbaren Netzwerken auch Kritik. Datenschützer warnen vor dem „gläsernen Menschen“. Nicole macht sich keine Sorgen, weil sie nicht jedes Detail ihres Lebens online stellt. „Die Grenze liegt bei persönlichen Dingen, die ich nur meinen Freunden anvertrauen würde. Das würde ich nie öffentlich machen.“
So geht es auch Chris Skoll. Der 21-Jährige ist mit der Potsdamer Electro-Band IndustryHouse online. „Ich gehe mit meinen Daten nicht sehr leichtsinnig um, bei meinem verkürzten Vornamen ist Ende im Gelände.“ Dazu käme auf seinem Privatprofil noch das Sternzeichen und der Beziehungsstatus, „aber das ist wohl eher weniger von Wichtigkeit“. Was Chris mit Nicole und Florian eint, ist die Abneigung gegen ein weiteres Phänomen bei MySpace: Oft wollen auch völlig Unbekannte „Kontakt“ aufnehmen und „Freund“ sein. Florian fasst das so zusammen: „Anfragen von Leuten, die nichts von mir wollen als nur einen Freund mehr. Das nervt.“
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