Flüchtlinge in Potsdam: Was zum Tanzen
Engagiert mit Musik: Der Pianist Joe Löhrmann gab am Montag ein Konzert für die Flüchtlinge in der Heinrich-Mann-Allee. Am Ende wurde sogar getanzt.
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Potsdam - Ein Konzertsaal ist es nicht. In einem Zelt, in dem kurz vorher noch Mittagessen ausgegeben wurde, hat Joe Löhrmann sein Klavier auf Rollen aufgebaut. An den Wänden hängen Info-Zettel mit arabischen Schriftzeichen und bunte Kinderbilder. Seit Jahren ist Löhrmann mit seinem Piano und einem Wohnmobil in ganz Europa unterwegs, musiziert unter dem Namen „My Traveling Piano“ in Fußgängerzonen, verdient sich sein Geld auf Weihnachtsmärkten oder bei Stadtfesten. „Für mich ist das ein richtiger Traum – die Verbindung von Reisen und Musik“, sagt der 32-Jährige. Weit gereist sind auch seine Zuhörer an diesem Montagnachmittag – allerdings nicht ganz freiwillig oder gar zum Spaß: Löhrmann ist für ein Konzert in die Außenstelle der Erstaufnahme für Flüchtlinge in der Heinrich-Mann-Allee Station gekommen.
Löhrmann tourt als Straßenmusiker durch ganz Europa
Langsam füllen sich die Reihen. Es sind zumeist junge Männer, die Platz nehmen, sie wirken eher zurückhaltend. Dia Mawaldy zum Beispiel. Der 35-jährige Grafikdesigner lebt seit einem Monat in der Erstaufnahme. Er ist aus dem syrischen Aleppo geflohen, wartet noch auf den Asylbescheid. Wann er das letzte Mal bei einem Konzert war? Er muss länger nachdenken. „Bei meiner Hochzeit“, sagt er dann: „Vor drei Jahren.“ Es sei nur ein Fest im kleinen Kreis gewesen, schließlich war schon Bürgerkrieg. Die richtige Feier, die will er noch nachholen: „Wenn der Krieg vorbei ist.“ Mawaldys Frau und die kleine Tochter wohnen noch in Syrien, er hofft, dass sie irgendwann nach Deutschland folgen können. „Meine Tochter ist ein Jahr und vier Monate“, sagt er – auf Deutsch.
Die Flüchtlingskinder, die zu Löhrmanns Konzert in Potsdam gekommen sind, sind schon etwas älter. Neugierig stehen sie am Klavier, bewundern das blank polierte Instrument, drücken vorsichtig die Tasten. Als das Konzert beginnt, sitzen sie erwartungsvoll auf den Bänken. Auch einige Männer und Jugendliche haben sich eingefunden.
Nur 200 Flüchtlinge leben derzeit in der Unterkunft, Ende der Woche sollen es wieder 500 sein
Rund 200 Flüchtlinge leben derzeit in der Erstaufnahme, sagt Einsatzleiter Alfred Hasenöhrl. Das ist wenig für die vom Deutschen Roten Kreuz betriebene Unterkunft im ehemaligen Sozialministerium – ausgelegt ist sie für bis zu 500 Menschen. In den vergangenen Tagen konnten etliche Flüchtlinge auf die Kreise und Städte verteilt werden. Bereits am heutigen Dienstag erwarten Hasenöhrl und sein gut 20-köpfiges Team einen Bus mit rund 50 Flüchtlingen, zum Ende der Woche soll die Unterkunft wieder voll belegt sein. Für den bevorstehenden Winter sei man gut gerüstet: „Die Heizungen funktionieren.“ Im November sollen wie berichtet noch acht Leichtbauhallen für bis zu 500 weitere Flüchtlinge auf dem Gelände entstehen. Ehrenamtler unterstützten die Arbeit täglich – wenn auch nicht mehr so viele wie zu Beginn im September.
Eine Ehrenamtlerin, die von Anfang an dabei war, ist Friederun von Both. Die 48-jährige Physiotherapeutin war es auch, die Joe Löhrmann für das Konzert gewinnen konnte. Sie sah ihn am Samstag in der Brandenburger Straße spielen und fragte kurzerhand, erzählt sie. Er sagte zu. „Das war ganz spontan“, meint er.
Die Zuhörer klatschen und rufen: "Almania, Almania!"
Schon beim ersten Stück taut das Publikum merklich auf. Löhrmann fragt nach einer Wunschmelodie. Ein junger Mann bittet um den Hit „Someone like you“ der britischen Sängerin Adele. Das Stück hat der Pianist im Repertoire, spielt gleich los – der junge Mann singt mit, andere Zuhörer klatschen im Takt. Es gibt warmen Applaus, der weitere Zuhörer zum Essenszelt lockt.
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Und die Stimmung wird immer gelöster. Ein paar Stücke später – Löhrmann gibt Ohrwürmer von Pharell Williams, Coldplay oder Metallica zum Besten, zwischendrin ein ruhigeres Stück aus dem „Amelie“-Soundtrack – reißt es die Männer schließlich von den Bänken. „Was zum Tanzen“, haben sie sich als letztes Stück gewünscht. Und tatsächlich tanzen sie dann, mit den Kindern, gemeinsam, und scheinen für den Moment ihre Sorgen vergessen zu können. Joe Löhrmann gibt eine Zugabe. Und dann noch eine. „Bravo!“ und „Almania, Almania!“, rufen die Zuhörer am Ende. „Das heißt Deutschland auf Arabisch“, erklärt Dia Mawaldy. Wie ihm das Konzert gefallen hat? „Unglaublich“, sagt er und lächelt.
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