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Von Erhart Hohenstein: Weder Schreihälse noch Flüsterer
Mit einem Festgottesdienst wird am 14. Juni in der Sacrower Heilandskirche die neue Orgel eingeweiht
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Sacrow - Ein Lastensegler mit ungewöhnlicher Fracht wird am Sonnabend, den 2. Mai, gegen 15 Uhr am Port von Sacrow festmachen. Er bringt die ersten von insgesamt 1000 Pfeifen für die neue Orgel der Heilandskirche. Am Steuer steht der Dresdener Kristian Wegscheider, der den Auftrag für die neue Orgel erhalten hat. Mit seiner Crew wird er die metallisch glänzenden, aus einer Zinn-Blei-Legierung gefertigten Pfeifen gleich einbauen – und dann ein Jubiläum feiern, denn Wegscheiders junges Unternehmen ist 20 Jahre alt.
Diesen Ausblick gab den PNN Reinhard Beyer, der für den Orgeleinbau im Auftrag der Kirchengemeinde die Fäden in die Hand genommen hat. Der ausgebildete Musiker, heute leitend in der Johanniter-Unfallhilfe tätig, zählte 2002 zu den Mitbegründern des Kulturfördervereins Ars Sacrow e. V. Zu dessen Zielen gehört auch eine neue Orgel für die Heilandskirche, die Bestandteil des Unesco-Welterbes ist. Im Zweiten Weltkrieg war durch einen Granateinschlag das von dem Orgelbauer Gottlieb Heise 1846 eingebaute Instrument stark beschädigt worden. Ersetzt wurde es nicht, denn im Kalten Krieg geriet das 1844 nach Skizzen König Friedrich Wilhelms IV. durch Ludwig Persius errichtete Gotteshaus in das Grenzgebiet zwischen Ost und West. Nach dem Bau der Berliner Mauer wurde durch die DDR-Grenzwächter Ende 1961 die Inneneinrichtung zerstört, darunter auch die Reste der Orgel.
Seitdem nach der politischen Wende am Heiligabend 1989 erstmals wieder Gottesdienst gefeiert werden konnte, sangen die Besucher mangels Orgel a cappella – was, wie Reinhard Beyer anmerkt, für Ungeübte nicht ganz leicht ist. Dagegen fiel den meisten Touristen das Fehlen der Orgel gar nicht auf. Als durch den Restaurator Ulrich Schneider das Innere der Heilandskirche in den 90er Jahren wieder hergestellt wurde, erhielt sie nämlich eine nach Forschungen von Prof. Ernst Bittcher durch den Zehlendorfer Orgelbauer Karl Schuke nachgefertigte Ansicht des Orgelprospekts aus Pappe. Sie ist nun entfernt worden, und im Kirchenraum werden ab nächste Woche für den Einbau der Orgel erforderliche Gerüste aufgestellt. Der Dresdener Orgelbauer Wegscheider bekam vom Gemeindekirchenrat den Zuschlag auch deshalb, weil die Klangfarben seines Instruments, das über 17 Register auf zwei Manualen verfügt, mit dem an italienische Gotteshäuser angelehnten Baustil der Heilandskirche harmoniert.
Gottesdienste sind wegen der Bauarbeiten derzeit nicht möglich. Sie werden am 14. Juni anlässlich der Einweihung der Orgel fortgesetzt. Dazu wird auch Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz erwartet. Einen besonderen Freudentag erlebt Matthias Trommer, denn „nach 34 Jahren als Kantor kann ich erstmals auf einer kompletten Orgel spielen“. Dazwischen liegt die komplizierte, drei Wochen dauernde klangliche Anpassung der Orgelpfeifen. Unter ihnen darf es weder „Schreihälse“ noch „Flüsterer“ geben.
Reinhard Beyer denkt am Tag der Einweihung dankbar an die mehr als 200 Spender, die mit meist kleineren Summen die etwa 200 000 Euro für die neue Orgel aufbrachten. Sie konnten eine oder mehrere Pfeifen kaufen. Am Vorabend der Einweihung dürfen sie sich bei einer Spezialführung anhören, wie das von ihnen gesponserte „Patenkind“ klingt. Im Juni, Juli, September und Oktober folgt eine Reihe von Konzerten auf der neuen Orgel.
Ganz fertiggestellt ist das Instrument allerdings noch nicht. Für die Wiederherstellung der originalgerechten Farbfasssung und des Gehäusezierrats sind nochmals etwa 30 000 bis 40 000 Euro notwendig, schätzt Reinhard Beyer. Bisher hat die Kirchengemeinde die Erneuerung der Orgel ohne jegliche staatliche oder EU-Hilfe finanziert. Sollte da nicht wenigstens für die Restarbeiten eine Förderung möglich sein, fragen sich die Sacrower. Schließlich werde mit der kompletten Wiederherstellung der Heilandskirche 20 Jahre nach dem Fall der Mauer eine der letzten Wunden geschlossen, die die deutsche Teilung in die Potsdamer Welterbelandschaft geschlagen hat.
Erhart Hohenstein
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