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Landeshauptstadt: Wehrdiensttotalverweigerer: Verfahren eingestellt

Volker Wiedersbergs Weg durch die Instanzen währte zehn Jahre

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Volker Wiedersbergs Weg durch die Instanzen währte zehn Jahre AUS DEM GERICHTSSAAL Von Gabriele Hohenstein Zehn Jahre lang kämpfte Volker Wiedersberg (34) – inzwischen selbst Rechtsanwalt – vor Gericht dafür, die Wehrpflicht rechtlich zu kippen. Seiner Ansicht nach könne die Bundesrepublik nach inzwischen „grundlegend geänderten sicherheitspolitischen Bedingungen“ genauso gut durch eine Armee ohne Wehrpflichtige verteidigt werden. Der überzeugte Pazifist verweigerte schon zu DDR-Zeiten den Dienst als Bausoldat bei der Nationalen Volksarmee. Als Wiedersberg im September 1993 seinen Zivildienst in der Landschaftspflege antreten sollte, legte er dagegen Widerspruch ein. Dieser wurde abschlägig beschieden. Doch Wiedersberg, für den Zivildienst „kriegsunterstützender und kriegsermöglichender Dienst“ ist, da Zivildienstleistende im Ernstfall jederzeit zu Hilfsleistungen herangezogen werden können, blieb seiner Arbeitsstelle auf Zeit fern. „Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit beinhaltet auch, den Ersatzdienst ohne Waffe zu verweigern“, so der Jurist. Eine Totalverweigerung aus Gewissensgründen müsse daher grundsätzlich straffrei sein. Das Amtsgericht verurteilte den Mann allerdings am 29. Mai 1998 wegen Dienstflucht zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 30 Mark. Der damalige Student ging in Berufung. Das Landgericht setzte das Verfahren am 19. März 1999 auf Anregung seines Verteidigers aus und beantragte beim Bundesverfassungsgericht eine Richtervorlage zu der Frage, ob die Wehrpflicht noch verfassungsgemäß sei. Das brauchte fast drei Jahre, um zu dem Schluss zu gelangen, den Antrag wegen formeller Mängel abzuweisen. Gestern verhandelte die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts erneut in dieser Angelegenheit. Zu Prozessbeginn legte Volker Wiedersberg seine Position einmal mehr klar. „Ich kann eine Wehrdienstleistung, unter die auch der Zivildienst fällt, nach wie vor nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Der Skandal ist, dass die Wehrpflicht in der momentanen Situation, in der faktisch eine Auswahlwehrpflicht besteht, verfassungsmäßig immer fragwürdiger wird“, betonte der Angeklagte. Jährlich würden bei weitem mehr Zivildienstleistende eingezogen als Grundwehrdienstleistende. Mehr als die Hälfte eines Geburtenjahrgangs von Wehrpflichtigen würde mittlerweile überhaupt nicht mehr herangezogen. Eine Wehrgerechtigkeit gäbe es schon lange nicht mehr. Damit sei der Gleichheitsgrundsatz als eine der tragenden Säulen der Demokratie ausgehebelt. Es läge eine absurde Situation vor. Während viele junge Männer gar nicht mehr eingezogen würden und die Regierung daran arbeite, die Wehrpflicht faktisch abzuschaffen, werden Verweigerer nach wie vor strafrechtlich verfolgt, monierte der 34-Jährige. Dessen Verteidiger stellte den Antrag, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht einzuholen. Da gingen Staatsanwaltschaft und Gericht allerdings nicht mit. Es gäbe – so der Kammervorsitzende – Rechtsnormen, die zu bestimmten Diensten verpflichten. Diese Rechtsnormen würden nicht gegen Grundrechte der Verfassung verstoßen, da sie Alternativen wie den Zivildienst beinhalten. „Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, Politik zu machen, sondern die Gesetze anzuwenden“, stellte der Richter klar. Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck aus Berlin, der Wiedersberg auch gestern vertrat, forderte erneut Freispruch. Der Staatsanwalt beantragte, die Berufung zu verwerfen, da sich der Angeklagte strafbar gemacht habe. Die Kammer hob das Urteil des Amtsgerichts vom 19. Mai 1998 auf und stellte das Verfahren mit dem Hinweis auf die mittlerweile zehnjährige Dauer und mit „großem Respekt vor der Gewissensentscheidung“ Wiedersbergs auf Kosten der Staatskasse ein.

Gabriele Hohenstein

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