Homepage: „Weihnachten als Auszeit vom Alltag erhalten“
Die Religionswissenschaftlerin Dr. Susanne Galley von der Universität Potsdam über weihnachtliche Traditionen, den Verlust an Kultur, die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber Religiösem, „Neuheidentum“ und den Trend zum
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Die Religionswissenschaftlerin Dr. Susanne Galley von der Universität Potsdam über weihnachtliche Traditionen, den Verlust an Kultur, die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber Religiösem, „Neuheidentum“ und den Trend zum „Religionssupermarkt“ Immerhin 15 Prozent der Deutschen wissen nicht, dass sie an Weihnachten die Geburt Jesu Christi feiern. Ist Weihnachten heute überhaupt noch ein religiöses Fest? Für kirchlich geprägte Menschen selbstverständlich. Für die anderen ist es ein Fest mit religiösen Wurzeln, das sie aber zunehmend mit eigenen Inhalten füllen. Dabei steht meist die Familie an erster Stelle, was ja nicht verkehrt ist. Unter jungen Menschen gibt es jedoch eine zunehmende Zahl, die nichts Religiöses oder Soziales mit Weihnachten verbinden. Das sieht man auch daran, dass viele Menschen über Weihnachten in die Karibik fahren, wodurch sie sich von vielen Dingen, die eine klassische deutsche Weihnacht auszeichnen, abkoppeln. Mittlerweile hat Weihnachten für viele Menschen nur noch die Funktion eines ruhigen Jahresendes. In der Tat. Und es ist auch wichtig, dass man sich Weihnachten wenigstens als Auszeit vom Alltag erhält. Während die Wochenenden zunehmend durch geöffnete Geschäfte zum Alltag werden, haben die Feiertage noch eine ganz bedeutende Funktion, nämlich die Familien eng beieinander zu halten. Wie wichtig ist es, dass Weihnachten weiterhin seinen religiösen Rahmen behält? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Natürlich ist der Verlust an Wissen über die religiösen Wurzeln von Festen immer auch ein Verlust an Kultur. Aber man darf nicht alle verurteilen, die diese Traditionen nicht mehr kennen. Es ist vielmehr wichtig, dass jeder einzelne sich darüber Gedanken macht, was er mit dem Fest verbindet und was er davon haben möchte. Mich bedrückt, dass viele Bestandteile des Weihnachtsfestes, die religiös besetzt sind – etwa das gemeinsame Singen und Musizieren beim Zusammensitzen am Weihnachtsbaum – aufgrund dieses Bedeutungsverlustes irgendwann einmal ganz wegfallen, dass man die Lieder nicht mehr kennt, dass man nicht mehr gemeinsam singen mag und lieber ins Kino geht als den Weihnachtsbaum anzuschauen. Wobei sich die Inhalte der Feier durch die Jahrhunderte wohl immer verändert haben. Der Verlust heute verläuft aber dramatischer. Meine Großmutter etwa kannte die wesentlichen Teile des evangelischen Kirchengesangbuchs noch auswendig, mein Vater noch die meisten wichtigen Kirchenlieder, ich noch die wesentlichen Weihnachts- und Festagslieder. Meine Tochter kennt nur noch wenige Lieder, singt sie aber nicht mehr. Man spürt hier die zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber solchen feiertäglichen, ursprünglich religiös gefüllten Betätigungen. Sollte die Schule diese Tradition pflegen? Ich bin äußerst skeptisch, ob die Schule etwas restaurieren kann, das gesellschaftlich keinen Inhalt mehr hat. Wenn das in den Familien nicht funktioniert, dann funktioniert es in den Schulen ebenso wenig. Die Schule ist überfordert, wenn dort ein Biotop von idealer Gesellschaft hergestellt werden soll. Sie kann nicht gegen einen herrschenden gesellschaftlichen Trend sozialisieren. Wie sollte man dem Verlust kultureller Werte beikommen, wenn nicht über die Schule? Brauchtumspflege kann die Schule nicht leisten, die hängt eng mit der Familie zusammen. An der Information aber kann man in der Schule schon ansetzen. Es ist nützlich und wichtig, die Kinder in den Schulen kulturell zu alphabetisieren. Man sollte ihnen die kirchlichen und geschichtlichen Hintergründe unserer Feste vermitteln, und sie dann auf eigene Entdeckungen, auf Spurensuche schicken. Um Interesse dafür zu wecken sich mit den eigenen Traditionen auseinander zu setzen und die eigenen Wurzeln aufzudecken. Etwa auch das Gespräch über die Generationen hinweg zu suchen, die Großeltern zu fragen, wie sie Weihnachten gefeiert haben. Und dabei auch anzuregen, die Traditionen zu überprüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, das ein oder andere wieder in den eigenen Alltag zu integrieren. Aber diese Rückfrage muss im Ergebnis offen sein. Es kann auch sein, dass die Schüler sagen, wir finden diese Tradition nicht sinnvoll, oder können mit ihr nichts anfangen. Das ist auch das Konzept im Lebensgestaltungs- Ethik- und Religionskunde-Unterricht (LER). Kulturelle Alphabetisierung bei gleichzeitiger kritischer Überprüfung halte ich für sinnvoll. Manch einer findet Weihnachten heute zu kommerziell. Sollen wir ganz aufhören, uns zu beschenken? Auch das hängt von jedem selbst ab. Mich befremdet es allerdings, wenn ich im September im Supermarkt Weihnachtsmänner sehe. Das ist deplatziert. Was das Schenken angeht: so lange es nicht zum Volkssport wird, mit zwanghafter Steigerung, dann kann es eine sehr sinnvolle und angenehme Sache sein. Man sollte auch nicht gegen den Strom anschwimmen und seinem Kind sagen, es bekommt nichts geschenkt, weil Weihnachten zu kommerziell geworden ist. Das bringt nichts. Welche Rolle hat für Sie der Akt des Schenkens? Es könnte in einem sinnvollen familiären Rahmen durchaus die Feiertagsstimmung hervorheben. Das setzt natürlich voraus, dass im Alltag nicht soviel geschenkt wird. Wenn Kinder dauernd etwas bekommen, etwa für gute Zensuren, dann funktioniert das Schenken nicht mehr. Welche Inhalte des Weihnachtsfestes sind für Sie zentral? Bei einer nicht religiösen Deutung des Festes ist das Symbol des Friedens von großer Bedeutung, wie auch das Symbol des Lichtes, das man bewusst in die Dunkelheit einbringt – etwa mit Kerzen. Das Lichtsymbol erschließt sich unmittelbar. Das kann man auch mit ethischen Gesichtspunkten verbinden, einem Auftrag, sich selbst zu überlegen, wo man Licht in den Alltag anderer Menschen hineinbringt und wo man für Dunkelheit sorgt. Auch das Symbol der Hoffnung, das sich mit einem kleinen Kind, neuem Leben überhaupt, verbindet, gehört zur Weihnacht. Hier kann man auch fragen, inwiefern das neue Leben zu schützen ist und welche Verantwortung man selbst dafür trägt. Werte, die für unsere Gesellschaft immer noch von grundlegender Bedeutung sind? Dessen bin ich mir sicher. Die Lichtsymbolik teilt das christliche Weihnachtsfest mit heidnischen Feiern. Das reicht zurück ins Römische Reich, ein Festtag zur Wintersonnenwende (21. Dezember), genannt „natalis solis invicti“, die Geburt der unbesiegbaren Sonne. Das ist eine der Hypothesen, wieso die Christen ausgerechnet am 25. Dezember ihr Weihnachtsfest gefeiert haben. Ein heidnischer Feiertag, den die Christen religiös vereinnahmt haben. Um zu verhindern, dass die alten Feiern fortbestehen, aber auch um integrierend zu wirken. Die andere Hypothese besagt, dass traditionell der 25. März als Tag der Schöpfung betrachtet wird, auf den man dann auch die Empfängnis Christi festgelegt hat. Wenn man dann neun Monate weiter rechnet, dann haben wir Weihnachten. Welchen Sinn sollte heute das Weihnachtsfest haben? Ich persönlich bin ein religiöser Mensch, für mich hat Weihnachten durchaus noch die traditionellen Inhalte. Meine große Hoffnung ist, dass viele Menschen an Weihnachten die Auszeit finden, die sie benötigen, um ins Nachdenken zu kommen. Etwa über das zurückliegende Jahr, über den Umgang mit den Mitmenschen, über die Zeit, die man für die Familie hat, über den bewussteren Umgang mit Zeit, wie man sich Höhepunkte im Leben schafft, dass man sich stärker den Kindern zuwendet. Die Kirchen klagen derzeit über Mitgliederschwund. Eine Renaissance der Religion ist nicht in Sicht? Im Prinzip schon, allerdings eine diffuse Renaissance. Es gibt einerseits Schwierigkeiten bei den etablierten Kirchen, vor allem bei der evangelischen Kirche. Andererseits gibt es aber gerade bei jungen Menschen eine große Faszination für fundamentalistische Gruppen, etwa die Evangelikalen oder Jesus-Freaks. Dann gibt es einen starken Hang zur Esoterik und zum Synkretismus, dem Verschmelzen der Religionen. Dabei bastelt man sich aus den verschiedenen Religionen das zusammen, was man für attraktiv hält. Man spricht sogar vom Religionssupermarkt, in dem sich jeder das zusammenstellt, was ihm liegt. Alles das ist mit zunehmender Tendenz zu beobachten. Die Entwicklung, läuft den konventionellen Kirchen zuwider. Die Frage ist, wie die etablierten Kirchen darauf zu reagieren gedenken. Bloß verharren und missionieren wird nicht ausreichen. Bislang sehe ich nicht, wie sich die Kirchen konstruktiv auf den Lauf der Dinge einstellen. Ich fürchte eher, dass die Entwicklung an ihnen vorbeilaufen wird. Es gibt auch zunehmend Rechtsextreme Gruppen, die das Weihnachtsfest als heidnisches Fest zu vereinnahmen versuchen. Dabei wird etwas aufgegriffen, das die Nationalsozialisten auch schon versucht haben. Besonders in SS-Kreisen war es üblich, nachdem die Gleichschaltung der Kirchen fehlgeschlagen war, gezielt das so genannte Neuheidentum wieder zu beleben. Die Wintersonnenwende, das so genannte Julfest wurde begangen, Weihnachtslieder wurden gezielt verändert. Wir sehen das Neuheidentum auch als einen wesentlichen religiösen Trend der Gegenwart. Nicht jeder Anhänger dieser Strömung ist ein Nazi, doch sollte man wissen, in welche Gesellschaft man sich hier begibt. Aufklärung durch Schulen und Medien scheint mir sehr wichtig. Man sollte wissen, wer, zu welchem Zweck, welche religiöse Strömung benutzt. Fast jede zweite Familie feiert Weihnachten mit den Großeltern. Wie ist das bei Ihnen? Das machen wir auch so. Ich stamme aus einer sehr traditionellen Familie, die zu Weihnachten zusammen kommt. Wir nehmen uns Zeit füreinander, und das halte ich für sehr wichtig. Gerade der Generationszusammenhalt, der sich immer stärker auflöst, lässt sich an solchen Feiertagen wenigstens punktuell stärken. Das Gespräch führte Jan Kixmüller.
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