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Studentenfilmfestival Sehsüchte 2016 in Potsdam: Weite Sprünge im unendlichen Filmraum

Die ersten Filme, die im Rahmen von „Sehsüchte“ zu sehen sind, zeigen virtuelle Realitäten und andere, unerschlossene Räume.

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Alles dreht sich hier: „Der Film ist wie die Sonne in unserem Universum, um die wir stets kreisen“, so steht es dieses Jahr im Sehsüchte-Presseheft. Unter der Überschrift „the space is yours“ werden die 114 Filme des Festivals in Blöcken gezeigt, die stets mit einem Planetennamen überschrieben sind. Räume – im tatsächlichen und übertragenden Sinne – sind Thema des Festivals. Das Motto ist eher metaphorisch gemeint. Es geht nicht um die Reise in unendliche Welträume, sondern um mehr Raum auch für Genrefilme, also Science Fiction, Western Action und dergleichen mehr. Der Genrefilm hat in Deutschland traditionell eher einen schweren Stand. Filme wie „Das finstere Tal“ oder „Medicus“ zeigen aber, dass auch sie kommerziell und künstlerisch erfolgreich in Deutschland produziert werden können.

Ganz neue Räume versucht etwa Christian Möller mit Virtual Reality zu ergründen. Mit dickem Gestell vor den Augen und Kopfhörern auf den Ohren versprechen die Pioniere der derzeit gehypten Technik eine ganz neue Wahrnehmung künstlich generierter Realität. Seitdem die Firma Oculus Rift 2013 ihre Brille ausgeliefert hat, wird – wieder mal – darüber diskutiert, ob das Ende des Kino eingeläutet sei. Schließlich werde mit dem Headset eine ganz andere Wahrnehmung von Filmen möglich. Die braucht keinen großen Kinosaal, sondern allenfalls einen Drehstuhl im heimischen Wohnzimmer.

Klar, auch Babelsberger Studenten versuchen sich an dem Filmformat: Mit dem Virtual-Reality-Film „I Philip“ ist der epochale Science-Fiction-Autor Philip K. Dick wieder auferstanden. In dem Video schildert der titelgebende Philip, der allerdings ein computergeneriertes Wesen ist und keine materielle Existenz oder Form hat, persönliche Erinnerungen und spricht mit verschiedenen Menschen, die ihm nahestanden. Die zweidimensionale Version des Films kann auf Arte abgerufen werden. Der intelligent gebaute Film verknüpft verschiedene Spielszenen, in denen Philip Frage und Antwort steht, sich an einen Krankenhausaufenthalt erinnert, seine trauernde Liebe trifft, um ein Selfie am Meer gebeten wird. Das alles in 3D. Der verblüffende Effekt stellt sich ein, wenn der Zuschauer mit dem Headset den Kopf bewegt: Die Brille erweckt den Eindruck, als bewege man sich im Raum, der sich entsprechend der neuen Blickperspektive verändert. Das Bild selber ist allerdings noch nicht überzeugend. Ein wenig unscharf, Gitterraster sind zu erkennen. „Die Technik ist sicherlich noch nicht ausgereift“, sagt auch Christian Möller.

Mit einigen ehemaligen Studenten der Filmuniversität hat der Kameramann die Firma InVR gegründet, die sich mit dem Potenzial des neuen Mediums befasst. In Marketing, Werbung und bei der Dokumentation von Theaterstücken sieht Möller die Entwicklungsmöglichkeiten. „Aber für das Kino ist die Brille wohl keine Bedrohung“, so Möller. Das Gemeinschaftserlebnis Kino könne auch noch so ausgefeilte Technik nicht ersetzen.

Ziemlich ausgereifte Technik ist allerdings in dem Genrefilm „Jagon“ zu sehen, der ebenfalls aus den immerhin 3500 eingereichten Beiträgen ausgewählt wurde. Im nebelverhangenen Wald versuchen martialische Schwertkämpfer eine schöne, in weite Gewänder gehüllte Prinzessin zu köpfen. Irgendwie geht es um eine Perlenkette, die schützende Kräfte hat, und, klar, um einen Krieger, der die Prinzessin retten will. Tricktechnisch ausgereift und als Fantasy-Film absolut auf der Höhe der Zeit zeigt der 20-minütige Beitrag, dass auch in Deutschland Tolkiens Erben Beachtliches zustande bringen, wenn sie entsprechende Finanzierung akquirieren können. 200 Einstellungen waren an 14 Tagen zu drehen, die Sprache der Krieger ist ein Kunstprodukt aus Englisch, Mittelhochdeutsch und der Fantasy-Sprache Elbisch. Teilweise wurden die Kampfszenen mit zwölf Kameras gefilmt, Krieger fliegen durch den Raum, wallende Gewänder wehen im Wind.

Szenenwechsel: In einem kahlen Raum, einer riesigen Werkhalle, treffen der Putzwagenfahrer Bakhyt und Samira, eine schöne Putzfrau mit Eimer und Wischmop, aufeinander. Während beide die ohnehin blitzblanke Halle putzen, kreist Bakhyt zunächst in weiten Umlaufbahnen um die Kollegin, um sich ihr schließlich mittels eines Tricks doch anzunähern. Im kahlen Setting der Halle entwickelt sich das ironische Kammerspiel wortlos und entfaltet doch seinen Reiz durch die stimmige Dramaturgie von Kamera und Blickwinkel und das lakonische Spiel der beiden Protagonisten.

Das Rätsel der Bewegung der Figur im Raum versuchte der Fotograf Eadweard Muybridge zu erkunden. Dabei schuf er Ende des 19. Jahrhunderts einen einzigartigen Katalog von raffiniert inszenierten Bewegungsstudien. Seine Fotos beeinflussten nicht nur die Fotografie, sondern die gesamte Kunstgeschichte. Der kanadische Regisseur Kyle Rideout hat sich mit Muybridge beschäftigt, sein Film spielt vorwiegend in einer ländlichen Idylle, schwelgt in schönen Bildern und zeigt auch den schwierigen Charakter des besessenen Fotografen. So bewegen sich die Filme des Festivals zwischen weiten Außenwelten und teilweise klaustrophobischen Innenwelten. Vor allem „Eadweard“ wünscht man, er möge bald das Licht des öffentlichen Filmtheaters erblicken. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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