
© dpa
Von Richard Rabensaat: Weitgehend unerforscht
Das Potsdamer Forschungsprojekt Corpus Coranicum untersucht Handschriften zum Koran
Stand:
„Wann ist die Ziege gestorben?“ fragt Michael Marx. In der Hand hält er einen auf Leder verfassten Koran-Text. Marx ist Leiter des Forschungsprojektes Corpus Coranicum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zusammen mit der deutschen Forschungsgesellschaft will er das Alter des Leders bestimmen, auf dem die Koran-Texte geschrieben sind. Wenn das gelingt, ist die Einordnung der Schrift in den Kanon der verschiedenen Handschriften möglich, die vom Korantext existieren.
In der Außenstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie am Potsdamer Neuen Markt laufen die Fäden des ambitionierten Forschungsprojektes zu dem religiösen Text zusammen. Zwar erscheinen gegenwärtig einige neue Übersetzungen des Koran, aber sie fußen zumeist auf einem Text, den im Jahr 1924 die Al-Azhar Universität in Kairo veröffentlicht hat. Diese beruht auf einem Textfundus, der damals nicht wissenschaftlich aufgearbeitet war und von einer traditionellen Überlieferung ausging.
Auch wenn es unglaublich klingt, auch im arabischen Raum ist der Koran weitgehend unerforschtes Terrain. Die Gläubigen gehen davon aus, dass Mohammed den Text in göttlicher Eingebung unmittelbar empfangen und dann seinem Schreiber diktiert habe. Einen allgemein gültigen Korantext gibt es aber entgegen der Buchstabengläubigkeit mancher Muslime nicht. „In den verschiedenen arabischen Ländern, beispielsweise in Ägypten und im Sudan, existieren verschiedene Varianten des Koran“, stellt Marx fest. Zudem entstanden schon in der Frühzeit des Koran verschiedene Abschriften deren genaue zeitliche Abfolge und Autorisierung nicht eindeutig ist.
Die Wissenschaftler der Forschungsgruppe Corpus Coranicum tauschen regelmäßig bei Kongressen und Treffen Informationen mit Wissenschaftlern aus Kairo und Istanbul aus. Die arabischen Kollegen seien sehr interessiert an dem Projekt. „Wir stellen die Eigenständigkeit des Koran nicht in Frage und haben Respekt gegenüber dem Islam“, erklärt Marx. Den vorsichtigen Forschungsansatz der Potsdamer nimmt die arabische Welt wahr und respektiert ihn. Das unterscheidet das Forschungsprojekt von manch heiklen Thesen, die zuletzt von einigen Religionswissenschaftlern vertreten wurden und sogar soweit gingen, die Existenz Mohammeds als Person in Fragen zu stellen.
Marx und seine Forschungsgruppe unter der Leitung der Arabistikprofessorin Angelika Neuwirth geht es indes nicht um eine theologische Auslegung des Islam. Im Fokus steht das Quellenstudium und die Einordnung des Textes in den zeithistorischen Zusammenhang. Dazu scannt das Team zunächst das verfügbare Quellenmaterial und Texte aus dem zeitlichen Umfeld. Fotos davon sollen demnächst zusammen mit der Niederschrift im Internet zugänglich sein. Dann vergleichen die Wissenschaftler das Niedergeschriebene Wort für Wort. Das ist notwendig, denn oft führen Punkte und Striche über der arabischen Handschrift dazu, dass ein Wort und damit nicht selten auch der Text eine völlig andere Bedeutung erhält. Letztendliches Ziel ist eine Kommentierung des Korantextes, die diesen in seiner Zeit verortet und auch das Verhältnis zu anderen religiösen Texten wie der Tora und der Bibel berücksichtigt. In den religiösen Texten finden sich Stellen, die auf gegenseitige Beeinflussung schließen lassen, wie beispielsweise das Siebenschläfergleichnis. Darin versteckt sich eine religiös verfolgte Gruppe in einer Höhle und verlässt diese erst wieder, als die Gefahr vorüber ist. Sowohl der Koran, wie auch die Bibel zitiert das Gleichnis.
„Die Handschriften die vom Koran existieren, sind nie systematisch untersucht worden,“ erklärt der Forscher. Nicht nur wegen des unerwarteten Neuigkeitswertes, den das Studium des mittlerweile rund 1300 Jahre alten Kodex birgt, war es relativ einfach die Mittel für das Projekt zu erhalten. Abschließende Veröffentlichungen des Projektes seien aber erst in rund 18 Jahren zu erwarten, bremst Marx vorschnelle Erwartungen. Ein Grund dafür sei, dass die wissenschaftliche Arbeit in einem gesellschaftlichen Umfeld stattfinde, in dem religiöse Grenzen immer wichtiger würden.
Anders als die Bibel ist der Koran kein narrativer Text, und er ist auch keine Handlungsanleitung für den Alltag der Muslime. „Nur rund sieben Prozent des Textes bergen klare Rechtshinweise. Schon bei den Gebetszeiten wird es schwierig“, erklärt Marx. Bestimmend für den Text sei das dialogische Prinzip, bei dem der Erzähler sich mit dem fiktiven Zuhörer auseinandersetze. Hier komme es auf Feinheiten an. Die seien bei den Übersetzungen vergangener Jahrhunderte oft verlorengegangen. Wohl deshalb hatten Goethe und Voltaire wenig Sympathie für den Koran. Richtig übersetzt, berge der Text eine erhebliche sprachliche Schönheit, die nicht nur den Gläubigen anspreche, versichern die Wissenschaftler.
„Für mich ist es nicht schwierig, die Sphären als Wissenschaftlerin und Gläubige auseinander zu halten“, sagt Tolou Khadim al Sharie, die bei dem Projekt mitarbeitet. Bei einer Vorstellung des Projektes auf einem Kongress in Teheran konnte sie sich von der Akzeptanz und dem Interesse der iranischen Wissenschaftler überzeugen. Letztlich sei es für das Forschungsprojekt egal, ob der Text nun von Allah direkt in Mohammeds Feder diktiert wurde oder auf andere Weise zustande kam. Davon bliebe der wissenschaftliche Forschungsansatz unbeeinflusst. Und auch für die Würdigung der Schönheit des Textes sei dies unerheblich.
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: