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Potsdamer Wissenschaft 2016: Wellen von der dunklen Seite der Welt

Die heiklen Gründerjahre der Universität Potsdam, Wellen vom Anfang des Seins und Wissenschaft in Zeiten des vornehmlich Postfaktischen. Ein Rückblick.

Stand:

Die Höhepunkte kamen in diesem Jahr in Wellen über die Potsdamer Wissenschaft. Den Aufschlag machte gleich zu Jahresbeginn die Universität Potsdam, das neue Jahr war gerade erst zwei Wochen alt, da wurde in der Januarkälte in Golm eine Bronzeplastik am Standort der ehemaligen Stasi-Schule enthüllt. Zur Erinnerung an die Opfer der DDR-Staatssicherheit. Am heutigen Uni-Standort befand sich einst die Stasi-Kaderschmiede, rund 30 000 Offiziere und Spitzel der Stasi waren hier ausgebildet worden. Neben der Juristen und Diplomatenausbildung in Griebnitzsee und der Pädagogischen Hochschule war Golm eine der drei Einrichtungen, aus der die neue Universität 1991 hervorgegangen war. Das wissenschaftliche Personal der Stasi-Hochschule war nach Übernahme komplett entlassen worden, doch gut 50 Verwaltungsmitarbeiter – und die Telefonanlage! – überstanden die Wende immerhin noch für einige Jahre.

Zum 25-jährigen Jubiläum setzte Uni-Präsident Oliver Günther alles daran, die etwas ungewöhnliche Gründungszeit der größten Hochschule des Landes aufarbeiten zu lassen. Und das schlug Wellen: Uni-Historiker Manfred Görtemaker ließ zum Neujahrsempfang die Bombe platzen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass die Überführung einer Pädagogischen Hochschule (PH) in eine forschungsorientierte Universität seinerzeit die Hochschule stark ausgebremst habe. Vor allem der Mittelbau von rund 500 Mitarbeitern auf unbefristeten Stellen hätte die Entwicklung seinerzeit stark behindert. Was wiederum ehemalige PH-Wissenschaftler als Diskreditierung ihrer Lebensleistung empfanden und entschieden zurückwiesen. Und das schlug einige Wellen – bis zum Jahresende.

Andere Wellen wiederum spielten 2016 in Golm eine nicht unwesentliche Rolle. Mitte Februar platzte die Nachricht einer wissenschaftlichen Sensation auch in die Potsdamer Forscher-Kreise. Bereits im Herbst 2015 war es einem internationalen Forscherteam um die Wissenschaftler des amerikanischen Ligo-Detektors erstmals überhaupt gelungen, eine Gravitationswelle direkt nachzuweisen. Die unsichtbaren Wellen durchpflügen – ausgelöst durch Sternenexplosionen und ähnliche physikalische Großereignisse – das Universum seit seiner Entstehung. Albert Einstein hatte diese Wellen bislang nur theoretisch angenommen, ihre Messung hat nun den finalen Beweis für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erbracht. Die Detektion war letztlich auch ein großer Erfolg für die Potsdamer Forschung. Das Potsdamer Max Planck Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) war an der Messung beteiligt gewesen, bei Hannover betreibt das Institut den Mess-Detektor Geo600. Es waren Forscher des AEI, die den Durchgang der Welle, durch den gerade erst in Betrieb genommenen US-Detektor, auf ihrem Bildschirm als erste registriert hatten – während ihre US-Kollegen wegen der Zeitverschiebung noch schliefen.

Für die Zukunft ist vom Potsdamer AEI die Satellitenmission Lisa geplant, im Weltall soll ein Millionen Quadratmeter umfassendes Messdreieck aus drei Satelliten entstehen. Die Wissenschaftler erwarten, mit Hilfe der gemessenen Wellen bis dicht an den Ursprung des Universums zurückschauen zu können. Sie erhoffen sich wichtige Hinweise auf die Entstehungsphase des Universums direkt nach dem Urknall. Der Nachweis von Gravitationswellen stoße auch ein neues Fenster zur sonst unsichtbaren „dunklen“ Seite des Universums auf.

Wirklich spannend wurde es dann noch einmal Anfang Oktober, als die schwedische Akademie der Wissenschaften bekannt gab, wer den Physiknobelpreis 2016 erhalten wird. Eigentlich lief alles auf die drei Köpfe des Ligo-Konsortiums hinaus, womit auch Potsdamer Forscher indirekt ausgezeichnet worden wären. Doch in Stockholm hatte man sich für etwas ganz anders entschieden: drei Quantenphysiker, die entdeckt hatten, dass manches Material unter extremer Kälte verrückte Zustände annehmen kann. Sicherlich ein ziemliche Enttäuschung für die Gravitationsphysiker, doch dass Nobelpreise einer Entdeckung nicht auf dem Fuße folgen, ist ja bekannt. Das Thema geht also auf Wiedervorlage.

An der Universität schlugen dann Anfang Dezember die Wellen um die Geschichte des Hauses noch einmal hoch. Auf einer zwölfstündigen Marathon-Konferenz mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) erzielte man zwar keinen Konsens darüber, wie es damals nun wirklich gewesen war – doch nahezu alle Seiten kamen zu Wort. Uni-Präsident Günther und den beteiligten Historikern war klar, dass das Thema die Hochschule nicht loslassen wird – zumal sich erst in den kommenden Jahren bislang verschlossene Archive öffnen werden. Günther trieb indessen ein neues Thema um. Was die US-Wahl, der Populismus in Europa und das vermeintliche postfaktische Zeitalter für das Selbstverständnis und die Freiheit der Wissenschaft zu bedeuten haben, fragte er in einem Beitrag dieser Zeitung. Der Populismus hatte die Potsdamer Forscher bereits seit dem Frühjahr beschäftigt. Der wissenschaftliche Direktor des IASS, Mark G. Lawrence setzte sich an die Spitze einer Bewegung, die Fremdenfeindlichkeit und die damaligen Pogida-Demonstrationen in Potsdam verurteilten. Wissenschaft ist immer international, so der Tenor der Protestschrift. Allein in Potsdam kommen von den rund 10 000 Mitarbeitern wissenschaftlicher Einrichtungen rund 1000 aus der ganzen Welt.

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