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Landeshauptstadt: Weltanschauung aus der Gartenperspektive

Am 30. November wird der Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Michael Seiler, in den Ruhestand versetzt

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Am 30. November wird der Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Michael Seiler, in den Ruhestand versetzt Von Thomas Kunze Michael Seiler sitzt am Computer und bestellt Rosenbüsche. Es sind keine gewöhnlichen Rosen, sondern Exemplare der historischen Sorte The Giant of battles. Seiler ist Gartendirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Seine kleine, verwunschen wirkende Residenz steht am Parterre von Sanssouci. „Das Haus ist dadurch geadelt, dass Peter Joseph Lenné hier gewirkt hat“, sagt Seiler. Er ist Nachfolger des berühmten Gartenbaumeisters, der im 19. Jahrhundert der Halbinsel Potsdam das heute bekannte Gesicht einer Park- und Gartenlandschaft gab. Michael Seiler ist am 5. November 65 Jahre alt geworden, am 30. November wird er feierlich in den Ruhestand verabschiedet. Damit geht eine Ära zu Ende – die der Rekonstruktion der 1990 wiedervereinigten Gartenlandschaft von Berlin und Potsdam. Zu DDR-Zeiten gab es zwar Seiler zufolge eine vorbildliche Gartendenkmalpflege, aber große Gartenbereiche waren durch die Berliner Mauer zerstört. Seiler – damals Oberkustos auf der Pfaueninsel – unterhielt schon vor 1989 gute Kontakte zu seinen Kollegen im Osten. „Aber ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass wir einst gemeinsam hier arbeiten würden“, erinnert sich der Berliner. Brandenburgs Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) würdigt die Lebensleistung Seilers: „Ihm ist es ganz wesentlich zu verdanken, dass die beiden über Jahrzehnte getrennten Gartenlandschaften wieder harmonisch zusammengewachsen sind.“ Inzwischen sind 36 Hektar Garten im einstigen Grenzgebiet unter anderem in Babelsberg und im Neuen Garten wiederhergestellt. Dem Gartenchef unterstehen rund 120 Mitarbeiter und mehr als 700 Hektar historische Gärten von Königs Wusterhausen bis Rheinsberg. Potsdam-Sanssouci liegt dem Bekanntheitsgrad nach unter den großen Gärten Deutschlands auf dem ersten Platz. „Das ist Lenné zu verdanken. Er hatte die Idee, eine ganze Landschaft mit der Havel als großem Gartensee zu gestalten.“ Heute erstrecken sich um Potsdam von Caputh bis zur Berliner Pfaueninsel sechs bedeutende Gärten. Fünf Tage, so sagt man, braucht es, um sie zu durchschreiten. Michael Seiler interessierte sich von Kindheit an für Botanik, Geschichte und Geometrie. „Vielleicht liegt es daran, dass ich Krieg und Bombennächte erlebt und seitdem einen Horror vor menschlichen Leidenschaften habe“, meint er nachdenklich. „Natur und Pflanzenwelt erscheinen mir dagegen als etwas sehr Glückliches.“ Er gibt das Vorhaben eines Praktikums in einer Gärtnerei auf und studiert Vermessungstechnik. Per Zufall besucht er eine Vorlesung über Gartengeschichte und weiß, er hat seinen Beruf gefunden. „Ich sehe die Welt aus der Gartenperspektive“, sagt Seiler. „Man kann hier - gewissermaßen durch die Blume – viel über sich und andere Menschen erfahren.“ Wer an einer Führung mit Seiler durch dessen Gartenreich teilnimmt, spürt, dass er es nicht nur mit einem Gartenkünstler, sondern mit einem Philosophen zu tun hat. Durch Gärten zu wandern und über sich und die Welt nachzusinnen, gehört für ihn zur Bestimmung jedes Menschen. Seiler kann mitreißend-euphorisch vom „Emaille der Farben auf den Blumenrabatten“ zu Charlottenburg, von den „Verlockungen der Sichtachsen“ im Marlygarten oder von der „vertikalen Melodie des Weges“ im Park von Sanssouci schwärmen. Ein Garten ist für den Gartenhistoriker einer Theaterbühne vergleichbar, mit dem Unterschied, dass er immer frisch und lebendig bleibe. „Diese Herbststimmung ist einzigartig“, sagt Seiler bei einem Spaziergang durch Sanssouci. „Aber man bringt auch die Erinnerungen von früheren Besuchen mit ein“, fügt er in Proustscher Manier hinzu. Ob bei offiziellen Führungen oder quasi im Vorbeigehen - Seiler ist immer bemüht, von seinem Wissen abzugeben. „Riechen Sie den südamerikanischen Kuchenbaum? Der ist schon zu Lennés Zeiten hier gepflanzt worden“, erklärt er einem Ehepaar. Als Rentner will Seiler nachholen, wofür ihm als Gartendirektor nicht die Zeit blieb. So werde er einen Wegweiser durch die Parks und Gärten von Sanssouci schreiben, um so viele Menschen wie möglich für den Zauber und die Philosophie der Natur zu begeistern.

Thomas Kunze

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