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Landeshauptstadt: Wem die nullte Stunde schlägt

Schüler, Lehrer und Experten streiten über den Schulbeginn – In Potsdam gibt es verschiedene Lösungen

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Endlich ausschlafen. Das ist in diesen Tagen für die Schüler in Potsdam und Umgebung möglich: Schließlich sind Herbstferien. Bereits am kommenden Montag allerdings ist die kurze Schonfrist vorbei. Und der Winter steht außerdem vor der Tür: Bald also klingeln die Wecker, wenn es draußen noch dunkel ist.

Zum Beispiel für die Steuben-Gesamtschüler: 7.30 Uhr beginnt dort die erste Unterrichtsstunde – dabei kommen besonders viele Schüler von außerhalb mit langen Anfahrtszeiten in die Ganztagsschule im Kirchsteigfeld, weiß Schulleiter Frank Brandt. Mit der Unterrichtsanfangszeit hat er keine Probleme: „Den Schülern ist es egal“, glaubt er. Und argumentiert weiter: Wenn der Unterricht später anfangen würde, wäre auch später Schluss. Jetzt ist das Pflichtprogramm von 32 bis 34 Wochenstunden dagegen spätestens 15.10 Uhr geschafft. Danach bleibt noch bis 16 Uhr Zeit für AGs im Rahmen des Ganztagsangebotes. So lange dauert der Schultag auch für die 272 Kinder an der evangelischen Grundschule – die Nachmittagsaktivitäten bereits inbegriffen: „Die Schüler sollen hier ja nicht übernachten“, erklärt Anke Völker, Leiterin der Grundschule in der Potsdamer Großen Weinmeisterstraße. Dabei fängt bei ihr die erste Stunde „erst“ 8 Uhr an. Kein Grund zur Aufregung also?

Das Schülermagazin „Spiesser“ sah dies unlängst anders: „Die Schule beginnt viel zu früh“, beschwerten sich die Autoren in der Septemberausgabe und warteten mit einer repräsentativen Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa auf: Demnach wollen 93 Prozent aller 14- bis 16-Jährigen und 83 Prozent der 17- bis 19-Jährigen erst nach 8 Uhr mit dem Lernen beginnen. Was spricht eigentlich dagegen?

Aus Sicht des brandenburgischen Bildungsministeriums erst einmal gar nichts. Die Schulen sind mit der Wahl ihrer Anfangszeit „relativ frei“, erklärt Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Die Entscheidung fällt jeweils mit Zweidrittelmehrheit in der Schulkonferenz, in der Eltern, Lehrer und Schüler vertreten sind. So steht es in der „Verwaltungsvorschriften über die Organisation der Schulen in inneren und äußeren Schulangelegenheiten“. Begonnen werden „soll nicht vor 7.30 Uhr“, liest man dort auch. Ausnahmsweise ist der Beginn 7 Uhr möglich: Allerdings nur, wenn zwei Drittel der Schüler zustimmen, erklärt der Ministeriumssprecher. Eine zeitliche Obergrenze gibt es dagegen nicht. Trotzdem hält Breiding 9 Uhr schon für „sehr spät“: Die Schulanfangszeiten müssen „zusammenpassen mit der Masse der arbeitenden Bevölkerung“, gibt er zu bedenken.

Am Einstein-Gymnasium in der Hegelallee gibt es noch Tage, an denen die Schüler 7 Uhr beginnen: Denn dort gibt es die so genannte „Nullte Stunde“, erklärt Yvonne Hasemann, die stellvertretende Schulleiterin. Seit diesem Schuljahr allerdings nur noch für die 13. Klasse und maximal einmal pro Woche. „Vorher hat die Sekundarstufe II generell 7 Uhr angefangen“, erinnert sich Hasemann. Der Unterrichtsbeginn ist nach Beschluss der Schulkonferenz nun auf 7.50 Uhr verlegt worden. Immer noch ganz schön früh. Was sagen denn die Wissenschaftler dazu?

Gerade die älteren Jahrgange bräuchten eigentlich mehr Schlaf, erklärt Wolfgang Ihle, Psychologe an der Universität Potsdam. Denn ab der Pubertät steige der Schlafbedarf – eine Entwicklung, die erst im frühen Erwachsenenalter, mit etwa 25 Jahren, abgeschlossen werde. Grund dafür sind laut Ihle „soziale Verpflichtungen und die natürliche Entwicklung“. Im Klartext: Älteren Schülern fällt es schwerer aufzustehen – auch, weil sie am Abend zuvor mit Freunden unterwegs waren. „15-Jährige könnten einen Mittagsschlaf brauchen“, erklärt der Psychologe. Ein Vorschlag, der in der eingangs erwähnten „Verwaltungsvorschrift“ natürlich gar nicht zur Debatte steht.

„Für Kinder bis zur Pubertät ist ein Schulbeginn von 8 Uhr in Ordnung“, erklärt Ihle weiter. Ihr „normales Leistungsniveau“ erreichen die Kinder allerdings auch erst gegen 9 Uhr, so der Wissenschaftler: „Meine Empfehlung ist, es in der ersten Unterrichtsstunde etwas langsamer angehen zu lassen.“ Leistungstests und Klausuren sollten also nicht auf die erste Stunde gelegt werden.

Ähnliches setzt die Pierre-de-Coubertin-Gesamtschule am Stern seit diesem Schuljahr um. Dort beginnt die Schule zwar um 8 Uhr: Allerdings mit einer so genannten „Übungsstunde“, wie Schulleiterin Christiane Ohlert erklärt. Die Schüler erledigen dann zum Beispiel Hausaufgaben oder arbeiten selbständig mit ihren Wochenaufgaben. 8.25 Uhr fängt der reguläre Unterricht an – Schluss ist 15 Uhr. Die Regelung ist Ergebnis eines Reformzeitprojektes, erklärt die Schulleiterin. Die Schulkonferenz habe damit den Versuch gestartet, Ganztag mit veränderten Unterrichtsanfang zu verbinden. „Wir hatten das Gefühl, dass die Kinder weder um sieben noch kurz vor acht zu Hochleistungen fähig sind“, begründet Ohlert die Änderung. Ihrer Ansicht nach bewährt sich die neue Regelung: Die Atmosphäre in der Schule sei ruhiger geworden, sagt Ohlert. Und: „Mehr Kinder kommen gefrühstückt zu uns.“ Ob und wie sich das in den Leistungen ausdrückt, sei zwar noch unklar, sagt die Schulleiterin: „Es tut ihnen aber offensichtlich gut.“

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