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Landeshauptstadt: Wendekrimi und Wahltheater

Dagmar Scharsich schrieb früher Romane, nun besucht sie einen Kurs zur Pflegehelferin

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Dagmar Scharsich schrieb früher Romane, nun besucht sie einen Kurs zur Pflegehelferin Dagmar Scharsich geht an Stühlen und Tischen vorbei ins Babelsberger Lindencafé. Vor einer Stunde saß sie noch in Berlin in einem Pflegekurs, ein anstrengender Tag, und trotzdem wirkt ihr wippender Gang leichtfüßig, fast tänzelnd. Irgendwie passt die zarte, rothaarige Frau gar nicht hierher. Eher in einen Zauberwald. Würde sie auf Daumengröße schrumpfen und Flügel haben, sie wäre die perfekte Elfe. Sie setzt sich, beginnt zu sprechen – mit sanfter Stimme, als wolle sie beweisen, dass sie tatsächlich zum Feenwesen taugt. Ja, den Kurs zur Pflegehelferin, habe sie durch den dreimonatigen Ein-Euro-Job im St.Josefs-Krankenhaus bekommen: „Meistens habe ich dort einfach mit den Leuten gesprochen oder ihre Hand gehalten.“ Manchmal mehrere Stunden lang und manchmal waren es die letzten Stunden eines Sterbenden. Das soll ihr neues Leben werden: Pflege und Sterbebegleitung. „Diese Fähigkeit“ , den Menschen, das zu geben, was sie dann brauchen, stecke einfach in ihr. Nun will sie sie nutzen. Schließlich sei sie mit 49 Jahren in einem Alter, in dem sie endlich etwas geben müsste. Die Arbeit im Krankenhaus war ihr erster richtiger Job seit Jahren. An die Reformen der jetzigen Regierung glaubt sie trotzdem nicht: „Was in letzter Zeit an Gesetzen verabschiedet wurde, die auch die Pflege betreffen, finde ich unmöglich“ – zum Beispiel die Praxisgebühr. Da werde etwas erhoben, was dann aber nicht zu den Menschen fließt, die es nötig haben. Und auch, wenn sie die vorgezogene Wahl am 18. September als „Politikertheater“ empfindet – hingehen will sie auf jeden Fall: Weder Merkel noch Schröder sollen ihre Stimme kriegen. Sie hofft, dass möglichst viele so wählen, dass der neuen Regierung eine starke Opposition gegenüber steht – eine, die hinterfragt. Enttäuscht habe sie, dass die SPD die Fehler der CDU-Regierung in „keinem Bereich verbessert“ habe. Sie denke da an das Theatersterben und die Mittelstreichungen für die Kultur. Davon ist sie selbst betroffen: Über 15 Jahre ist es her, dass sie begonnen hatte zu schreiben: erst „kleinere Sachen“, Zeitungsglossen und eine Erzählung in der Literaturzeitschrift „Temperamente“. Sie tut so, als sei das nichts weiter, aber auf die Veröffentlichungen folgten Verträge mit dem DDR-Rundfunk und dem Verlag „Neues Leben“ – für ein Kinderhörspiel und einen Roman. Und gerade als sie dachte: „Davon kann man leben“, kam die Wende. Sie hält inne: „Gott, diese Zeit ist schon so weit weg.“ Trotzdem scheinen sie die vergangenen Jahre kaum älter gemacht zu haben. Sie trägt die langen Haare offen, hin und wieder streicht sie sich wie ein verlegenes Mädchen eine Strähne hinters Ohr. 1989 wohnte sie noch mit ihrem damaligen Mann und den Kindern in Berlin, gemeinsam gingen sie auf die Demonstrationen gegen Stasi und Mauer. Scharsich war voller Hoffnung auf eine andere, bessere DDR. Mit dieser zerschlug sich auch die Hoffnung, als freie Autorin über die Runden zu kommen: Verlag und Rundfunk standen nicht mehr zu den alten Verträgen. Ein Theaterstück, für das sie schon die Zusage eines Bühnenhauses hatte, platzte, weil das Theater kein Geld mehr dafür ausgeben konnte. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat der Hamburger Argument-Verlag zwei Krimis von Scharsich veröffentlicht. Den ersten 1994 – „Die gefrorene Charlotte“ ist auch eine Wendegeschichte. „Mit diesem Buch habe ich irgendwie Abschied von der DDR genommen.“ Ein Jahr lang konnte sie sogar von ihrer Arbeit als Autorin leben. Der Preis: Dauerstress für die dreifache Mutter. Und für ihre Kinder fehlten ihr in Deutschland die „Chancen“ – auch in der Schule: „Hier geht es immer nur um die Bildung des Kopfs.“ Die Sinne und die Sozialkompetenz kämen zu kurz. Darum schickt sie ihren Jüngsten zur Waldorfschule. Das Schulgeld für den Zwölfjährigen spart sie sich mühsam vom Arbeitslosengeld II ab. Ihre eigene Ausbildung wird sie in vier Wochen abschließen. Dann wartet bereits eine Stelle bei der Potsdamer Sozialstation auf sie: „Erstmal auf 400 Euro-Basis, aber das ist ein Anfang“, sagt sie. Vielleicht bleibt dabei auch Zeit, wieder zu schreiben. Die Idee für eine neues Buch hat sie schon.

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