Landeshauptstadt: Weniger, als zur Existenz notwendig ist Armuts-Zeugnis: Ein Selbstversuch in Potsdam
Das erste Problem ist das kaputte Fahrrad. Das wusste Irene Kirchner schon am Freitag.
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Das erste Problem ist das kaputte Fahrrad. Das wusste Irene Kirchner schon am Freitag. Nun muss sie ausrechnen, was günstiger ist: Reparatur oder das Sozialticket für Bus und Bahn. Denn ihr Auto soll in dieser Woche stehen bleiben. DieFraktionsvorsitzende von „Die Andere“ unternimmt – genauso wie Diakon Matthias Stempfle – ab heute einen Selbstversuch: Eine Woche lang wollen die beiden mit dem Geld auskommen, das einem Flüchtling laut Asylbewerberleistungsgesetz zusteht. Das Projekt findet im Vorfeld der „Interkulturellen Woche“ statt, die am kommenden Sonntag beginnt.
Die Idee für die Aktion kam von der Flüchtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werkes in der Schlossstraße. Sie wolle auf die finanzielle Situation von Flüchtlingen aufmerksam machen, erklärt Mitarbeiterin Helen Sundermeyer. Bei der aktuellen Diskussion über „Hartz IV“ will sie daran erinnern, dass es Menschen gibt, die mit noch weniger Geld leben: „Über die spricht nur keiner.“
Mit 45 Euro im Geldbeutel beginnen Kirchner und Stempfle die Woche. 224,27 Euro monatlich erhält ein Asylbewerber in den ersten vier Jahren seines Aufenthalts in Deutschland, erklärt Sundermeyer. Das liegt weit unter dem so genannten „sächlichen Existenzminimum“, das die Bundesregierung seit 2005 für Alleinstehende auf 7356 Euro pro Jahr festgelegt hat – also 613 Euro pro Monat. Von dem Geld müssen die Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt bestreiten, aber auch laufende Kosten für Anwalt und Telefon finanzieren oder Medikamente kaufen. Außerdem gehen in Potsdam monatlich 25,57 Euro Energiekosten an das Asylbewerberwohnheim im Lerchensteig ab – etwa 190 Menschen leben dort, sagt Leiter Harald Koch.
Matthias Stempfle will ihre „ökonomische Zwangslage noch besser verstehen“ – gemeinsam mit Irene Kirchner wird er darüber berichten. Jana Haase
Die PNN begleiten das Projekt ab morgen unter der Rubrik „Armuts-Zeugnis“.
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