Homepage: Wenn das Kleid nicht mehr passt
Maßgeschneiderte Lösungen für die Anpassung von Brandenburgs Städten an den demografischen Wandel sucht man am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS). Von Anja Nelle
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Das Jahr 2013 ist vom Bundesforschungsministerium zum Themenjahr „Die demografische Chance“ benannt worden. Die Frage, wie sich der Wandel gestalten lässt, steht dabei im Fokus. In den PNN stellen Wissenschaftler aus der Region ihre Arbeit und Erkenntnisse dazu vor.
Sinkende Einwohnerzahlen und der Anstieg des Durchschnittsalters stellen Stadtentwickler vor große Herausforderungen. „Das Kleid ist zu groß geworden“, sagen die Planer mit Blick auf die Gebäudeanzahl und die Infrastrukturen, die von der schrumpfenden Bevölkerung nicht mehr ausgefüllt werden können. Es gibt zu viele Wohnungen, obgleich sich die Wohnfläche pro Kopf erhöht hat. Die Auslastung von Trinkwasser- und Abwasserleitungen sinkt so stark, dass die Gefahr von Keimbildungen besteht. Schulen müssen schließen, weil es nicht mehr genug Kinder gibt, die sie besuchen.
Wir werden weniger und wir werden älter. Diese Erfahrung machen Städte in Ostdeutschland seit vielen Jahren. In den 1990er-Jahren vollzog sich im Zeitraffer ein post-fordistischer und post-sozialistischer Strukturwandel: Die Schließung von Industriebetrieben führte zum Abbau von Arbeitsplätzen – „flexible“ Einwohner im beschäftigungsfähigen Alter wanderten ab. Zurück blieben weniger und ältere sowie nicht abwanderungswillige oder -fähige Bewohner. Die Geburtenzahlen sanken. Heute ist der Rückgang der Bevölkerung kaum noch auf Wanderungsbewegungen zurückzuführen. Es werden weniger Kinder geboren als betagte Menschen sterben.
Wie können die Städte ihre Figur verändern, um das Kleid auszufüllen? Wo muss es abgenäht werden, um wieder zu passen? Für Kommunen bedeutet die Anpassung an den demografischen Wandel, ein individuelles Konzept zu erarbeiten und umzusetzen, das – um bei dem Bild des Kleides zu bleiben – Ernährungsberatung und Schneiderhandwerk verbindet. Im Fachjargon nennt man diese Konzepte „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte“, weil sie Stadtstruktur, Wohnungsmarkt, Verkehr, technische und soziale Infrastruktur, aber auch Wirtschaft und Soziales gemeinsam in den Blick nehmen. Unterschiedliche Verwaltungsressorts werden an der Erarbeitung ebenso beteiligt wie Wohnungsanbieter, Versorgungsunternehmen und die Bevölkerung.
Obgleich es kein Schnittmuster und keinen allgemeingültigen Diätplan gibt, setzt das Land Brandenburg eine klare Strategie für den sogenannten Stadtumbau: Kommunen sollen ihre Zentren aufwerten und stärken und dafür an den Stadträndern Plattenbausiedlungen bzw. ihre Randbereiche abreißen. Die Aufwertung der Innenstädte ist mit der Neugestaltung von Straßen und Plätzen verbunden, deren Nutzung mobilitätseingeschränkten Personen durch barrierearme Erschließungen ermöglicht wird. Verwaltungseinrichtungen, aber auch soziale Infrastrukturen wie Schulen und Bibliotheken werden in die Stadtmitte verlegt. Dadurch soll das Zentrum attraktiver werden, wie beispielsweise in Wittstock/Dosse: Dort wurde mit der Verlegung von Infrastruktureinrichtungen geschickt die Sanierung von stadtbildprägenden Fachwerkhäusern und historischen Fabrikgebäuden verbunden, die sich zum Wohnen schlecht eignen.
Eine attraktive Innenstadt muss aber auch bewohnt sein – möglichst von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. In einigen Städten ist es der Verwaltung gelungen, soziale Träger oder Wohnungsbaugesellschaften für die Schaffung von Pflege- und Wohnangeboten für ältere Menschen zu gewinnen. In Wittenberges Jahnschulviertel baute das kommunale Wohnungsunternehmen einen Gründerzeitblock um. Es entstanden barrierearme Wohnungen, von denen einige behindertengerecht sind. Spezielle Angebote für Familien zielen auf die Bereitstellung von privaten Freiflächen für einzelne Wohnungen. Auch Einzel- oder Reihenhäuser werden mancherorts behutsam in die bestehende Innenstadtstruktur eingefügt, um attraktive Alternativen zum Wohnen in Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand zu schaffen.
Viele gute Ansätze für die Anpassung der Stadtstrukturen an den demografischen Wandel sind in den letzten zehn Jahren in Brandenburg entwickelt und umgesetzt worden. Bund, Land und Kommunen haben im Rahmen des Städtebauförderprogramms Stadtumbau Ost dafür Mittel bereitgestellt. Doch der Prozess ist langsam und ein Abschluss noch nicht abzusehen, denn wir werden weiterhin weniger und älter. Deshalb muss die Besinnung auf die Mitte fortgesetzt werden. Kommunen müssen Strategien und Instrumente weiterentwickeln, um mehr Akteure zur Unterstützung zu bewegen. Wohnungsanbieter müssen für Investitionen in die Bestände gewonnen werden, die ins neue Schnittmuster passen. Bürgerinnen und Bürger müssen sich mit ihrer Wohnungswahl, Vereinsaktivitäten und bürgerschaftlichem Engagement einbringen. Dann kann das Kleid auch in Zukunft passen.
Die Autorin führt am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) die wissenschaftliche Begleitforschung zum Förderprogramm „Stadtumbau Ost“ durch.
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