Von Dirk Becker: Wenn der Bundeskanzler a.D. spricht
Gerhard Schröder kam nach Potsdam, um über Russland zu sprechen und traf auf ein milde gestimmtes Publikum
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Potsdam hat es ihm leicht gemacht. Fast wirkte Gerhard Schröder zum Ende des Gesprächsabends am Dienstag im Hotel Dorint Sanssouci vor knapp 750 Gästen ein wenig missmutig. So viel Milde, keine Widerworte, nicht ein einziges Mal musste der SPD-Politiker Zähne zeigen. Das ist der Bundeskanzler a.D. sonst anders gewohnt, und das bei diesem Thema.
„Verstehen wir die Russen richtig – ist unser Umgang mit ihnen angemessen?“ lautete das Motto in der von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Reihe „Brandenburger Gespräche“. Wem bis zu diesem Abend nicht bekannt war, welcher Partei die Friedrich-Ebert-Stiftung nahe steht, wusste es spätestens als Stiftungsvorsitzende Anke Fuchs sowohl den Bundeskanzler a.D. als auch den Moderator Manfred Stolpe, seines Zeichens Ministerpräsident a.D., in ihrer Begrüßungsrede recht vertraulich duzte. Stolpe übernahm diese Vertraulichkeit gern. Ansonsten waren seine einleitenden Worte von gewisser Schärfe, so als gelte es, das Publikum zuerst auf Kurs zu bringen.
So sei das Russlandbild der Deutschen fast nur durch Vorurteile, westlicher Überheblichkeit und die veröffentlichte Meinung, sprich die Medien, geprägt, denen aber, so Stolpe, weniger an Objektivität sondern am verkaufsfördernden Skandal gelegen sei. Er wünsche sich bei den Deutschen mehr „Grundkenntnisse“ über dieses Land, das 50 Mal größer als Deutschland ist, in zwölf Zeitzonen zerteilt sei und in dem 160 Völker leben, die Bevölkerungszahl aber nur doppelt so hoch wie die in Deutschland sei.
Diese gewünschten Grundkenntnisse lieferte Schröder in seinem Vortrag nicht. Er beschränkte sich auf das Gebiet, auf dem er jahrelang eine führende Rolle spielte: Der Weltpolitik. Schröder plädierte für eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland, die es derzeit leider nicht gäbe. Eine schnell wieder erstarkende USA und ihrem neuen, charismatischen Präsidenten Barack Obama auf der einen und die wirtschaftlich immer stärker werdenden Länder Asiens auf der anderen Seite machen es zwingend notwendig, dass die EU sich Russland wieder annähert, um nicht bald isoliert zu sein. Dass manches in Russland in Sachen Demokratie und Rechtstaatlichkeit aus westeuropäischer Perspektive mehr als fragwürdig erscheint, bestritt Schröder nicht. Doch betonte er immer wieder, dass Russland sich erst sein wenigen Jahren auf dem Weg zur Demokratie befinde, der Weg von der Plan- zur Marktwirtschaft ein schwieriger sei und dass die damit einhergehende Bewusstseinsveränderung bei den Menschen ihre Zeit brauche. „Besser kleine Schritte als gar keine“, hatte Manfred Stolpe einführend gesagt.
Dann gab es noch Lob für die Politik des Außenministers und SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, einen wohlwollenden Rückblick auf die eigene Politik als Kanzler nach dem Motto: Wir hatten doch recht! Dazu die üblichen Seitenhiebe gegen die Partei der Kanzlerin und ein Loblied auf die Nord Stream AG, die eine Gasleitung zum Transport von Erdgas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland plant und dessen Vorsitzender Schröder ist.
Zum Ende etwas Unruhe im Saal, als eine Potsdamerin von ihren Erfahrungen berichtete. Wolle sie Freunde aus Russland einladen, müsse sie eine offizielle Einladung, einen Mietvertrag und eine Gehaltsbescheinigung verschicken. Liege der Verdienst aber unter 1300 Euro monatlich, bekommen die Freunde kein Visum, wie eine weitere Besucherin präzisierte. Da war selbst der Bundeskanzler a.D. überrascht. „Das ist ja abenteuerlich“, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf. Beruhigend zu wissen, dass der Experte Schröder zumindest auf der Ebene der einfachen Leute in Sachen Russland noch etwas dazu lernen kann.
Dirk Becker
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