Landeshauptstadt: Wenn der heilige Rosso die Zunge zwickt
„Grande Degustatione“ im Weinsalon Kellermann: Ein Abend, 22 Jahrgänge und viele Geschmacksdebatten
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„Grande Degustatione“ im Weinsalon Kellermann: Ein Abend, 22 Jahrgänge und viele Geschmacksdebatten Von Sabine Schicketanz Der Rekordmeister bekommt eine Abfuhr. Sechsmal in Folge wurde der Sagrantino 25th Anni Riserva von den Kritikern mit der Bestnote ausgezeichnet, doch an diesem Abend im Kaminzimmer der Villa Kellermann – der Heilige See vor dem Fenster liegt schon im nächtlichen Dunkel – möchte niemand mehr diesen vielleicht besten Wein aller Zeiten kosten. Zu schade wäre es, die Flasche zu entkorken, zu viele flüssige Gaumenfreuden wurden schon gereicht. Die Anmut des Sagrantino 25th, sie würde schlicht nicht mehr geschmeckt, nach fünf Jahrgängen Montefalco Rosso, sieben Sagrantinos, dem „kleinen Griechen“ Greghetto Belvedere und dem „großen Griechen“ Grecante zum Entrée, den drei Montefalco Rosso Riserva mit spanischem Einschlag und immerhin zwei Sagrantino 25th, aus den Jahren 1994 und 1997. Das Publikum der „Grande Degustatione“, der großen Weinverkostung, ist erschöpft. Und ein wenig betrunken. Nur Maximilian Dreier nicht. Er hat Kondition im Kosten, er weiß, was sich für einen guten Gastgeber gehört. Auf den Schluck über den Durst verzichtet er professionell. Stattdessen liefert Dreier das Wissen zum Wein, den er als erster Händler schon vor elf Jahren nach Deutschland importiert hat. All“ die Sagrantinos und Montefalcos stammen vom Weingut Caprai in Umbrien. Was Arnaldo Caprai, eigentlich erfolgreicher Industrieller in der italienischen Textilindustrie, und seit 1989 sein Sohn Marco aufgebaut haben, gleicht dem Aufschwung, den das Piemont mit dem Aufstieg seines Weins erlebt hat, sagt Dreier. „Damit wurde eine Region gerettet.“ Dasselbe verheißt Caprai dem Gebiet zwischen Trevi, Assisi und Spello, umgeben vom Apennin. „Der Montefalco ist der Chianti Umbriens“, sagt Dreier. Und Chianti, das ist eben auch Nicht-Weinkennern ein Begriff. Dennoch geht es in der Villa Kellermann nicht darum, die größtmögliche Menge Montefalcos und Sagrantinos an den Mann zu bringen. Erzählt und geschmeckt werden soll die Geschichte des Weins, dessen Rebsorte es nur in Umbrien gibt. Ein armenischer Prinz soll sie einst dorthin gebracht haben, später hat sie in den Klostergärten der Franziskaner überlebt. Sie waren es auch, die überhaupt noch den „Sagra“, den heiligen Wein, den man zu Kirchenfesten trank, aus der Rebe gewannen. Bis Caprai kam, das Potenzial erkannt und aus dem Sagrantino einen Großen gemacht hat. Einen Wein, den es heute überall gibt – in New York, Tokio, Paris, London. Und der Caprai unter die besten zwanzig Weingüter Italiens katapultiert hat. Die erste Flasche von Caprais Montefalco Rosso, die Maximilian Dreier an diesem Abend entkorkt, ist gefüllt mit Wein aus dem Jahr 1977. Sein warmes Rot hat er mit dem Alter verloren, auch seinen Geschmack. „Nicht mehr trinkbar“, urteilt Dreier, schon dem Geruch nach. Eher wie Sherry beißt der siebenundzwanzig Jahre alte Wein in der Nase. „Weine altern wie Menschen“, sagt der Fachmann. „Der eine ist noch fit, der andere nicht.“ Überhaupt hätte man Kenner, die ein Auge gerade auf die verstaubten Flaschen haben, früher wohl für verrückt erklärt. „Kein Wein wurde dafür gemacht, nach zwanzig Jahren noch getrunken zu werden.“ Man hatte Konservierungsprobleme, die Römer sollen ihrem schon fast zu Essig gegorenen Aperitiv sogar regelmäßig mit Honig versucht haben, die Säure auszutreiben. Heute haben sich die Winzer auf lange Lagerzeiten eingerichtet: Die Fässer sind kühlbar, die Korken länger. Doch was macht einen alten Wein so wertvoll? Der Montefalco Rosso aus dem Jahr 1985 zeigt es: Zwar zwickt auch er ein wenig auf der Zunge, doch die Gerbsäure, die Tannine, sind nahezu verschwunden. „Er lebt noch, die Bakterien arbeiten noch“, sagt Dreier. Für das Dutzend Weinliebhaber, das um die große Holztafel im Kaminzimmer sitzt, sind die alten Jahrgänge dennoch gewöhnungsbedürftig. Viele Schlücke landen mit einem Schwapp in den drei Champagnerkühlern, die zwischen den zahllosen Gläsern auf dem Tisch stehen. Manch einer versucht wohl auch, sich zurückzuhalten. 22 Weine kosten, das kann schließlich harte Arbeit werden – wenn der Alkoholpegel zu sehr steigt. Doch für Durchhaltevermögen sorgt das Essen: Aromatischer Norcia-Schinken, frisch geschnitten, mit herrlich weichem Weißbrot wird zum Entrée serviert, Bandnudeln mit Sommertrüffeln gleichen den Geschmack des leicht nach Sprit riechenden 85er Sagrantino aus, der Braten vom Pfingstochsen kommt zum 2000er auf die Teller – dem bisher besten Wein des Abends. Die Streifen Pecorino, ein feiner Schafskäse, werden sorgsam eingeteilt – sie müssen über die gehaltvollen Montefalco Rosso Riserva helfen. Und spätestens hier enden die ernsthaften Geschmacksdebatten. Wurde den Weinen zuvor noch Honig- oder Himbeerduft, ein Hang zum Schweren oder bezaubernde Leichtigkeit attestiert, ganze Bündel Tannine entdeckt, über das beste Wetter für einen Jahrhundertwein spekuliert, ist die Konzentration jetzt erloschen, sind die Geschmacksnerven betäubt. Aber dafür sind die Verkoster sicher, welche Flasche zum nächsten feierlichen Moment entkorkt wird. Ein Sagrantino 25th Anni Riserva – der Rekordmeister. Die nächste Weinverkostung findet am Freitag, dem 25. Juni statt. Thema: Der Süden hat nicht aufgeholt, er überholt! Ausgeschenkt wird ein Primitivo di Manduria von 1959. Kosten pro Person: 45 Euro. Anmeldungen unter Tel.: (0331) 29 15 72.
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