Landeshauptstadt: Wenn der Lehrer Noten bekommt
Pädagogen sollen Schüler zu ihrem Unterricht befragen. Die allerwenigsten tun es. Nun will das Ministerium eingreifen
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Die Stille, die eintritt, wenn die Schüler bei einer schriftlichen Arbeit loslegen, kennt jeder Lehrer. Aber wie lässt sich die Stille aushalten, wenn sie aufgefordert sind, über ihren Lehrer zu urteilen? Etwa auf einer Punkteskala zu bewerten, ob er einen mit der Begeisterung für sein Fach anstecke oder einem zutraue, selbstständig zu arbeiten. Oder ob man sich im Unterricht wohlfühle. Für viele Brandenburger Lehrer muss so ein Fragenkatalog eine Horrorvorstellung sein. Das lassen zumindest Zahlen des Bildungsministeriums vermuten: Im vergangenen Schuljahr haben gerade einmal 378 der 18 000 Brandenburger Lehrer das Portal des Institut für Schulqualität (ISQ) zur Evaluation ihres Unterrichts genutzt.
Dabei sind alle Schulen vom Land angehalten, für die Qualitätsentwicklung ihrer Einrichtungen selbst zu sorgen. Seit einigen Jahren gibt es externe Visitationen. Basis hingegen sollen die sogenannten Selbstevaluation sein.
Angesichts der vernichtend geringen Nutzung des Portals in Brandenburg überlegt das Ministerium, das Feedback durch die Schüler verpflichtend einzuführen. „Wir haben es über Freiwilligkeit probiert, es funktioniert nicht“, sagt Ministeriumssprecher Stephan Breiding. „Wir prüfen eine stärkere Verbindlichkeit.“
Vorbild dafür könnte Berlin sein. Seit 2011 sind die Kollegen dort verpflichtet, sich von ihren Schülern bewerten zu lassen. Die Nutzerzahlen stiegen immerhin von 1700 auf 2500. Das ist inzwischen jeder siebte Lehrer. In Brandenburg ist es etwa jeder fünfzigste.
„Ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer uns nicht kennen“, sagt Holger Gärtner, Leiter des Selbstevaluationsportals. Auch herrschten „noch sehr hohe Freiheitsgrade“ bei dem Berufsstand des Lehrers. Sanktionsmöglichkeiten gebe es bei den Selbstevaluationen genauso wenig wie etwa bei Fortbildungen.
Eine verpflichtende Einführung der Selbstevaluationen hält die Lehrerin Katja Friedrich für schwierig. „Die Motivation müsste von innen kommen“, sagt Friedrich. „Das gehört für mich zum professionellen Umgang, dass ich mich dem Feedback stelle.“ Viele Lehrer hätten allerdings die Meinung, dass Schüler sie gar nicht richtig beurteilen können. Außerdem herrsche oft die Angst vor, die Kinder und Jugendlichen seien ihren Lehrern nicht wohlgesinnt. „Dabei ist ganz erstaunlich: Man wird auch gelobt“, sagt die Biologie- und Geografielehrerin. Friedrich führt an ihrer Schule, dem Fontane-Gymnasium in Rangsdorf, mindestens einmal im Jahr das Verfahren durch. „Die Schüler nehmen das sehr ernst.“ Seitdem die Schule im Jahr 2004 in einem Modellprojekt eine neue Feedback-Kultur einführte und dafür den Innovationspreis des Landes bekommen hat, habe sich laut Friedrich viel geändert. Nicht nur Schüler, auch Eltern würden regelmäßig befragt. „Dass die Lehrer miteinander über ihr Feedback sprechen, ist bei uns eine Gepflogenheit geworden.“
An der Potsdamer Lenné-Gesamtschule nutzten mindestens 15 bis 20 Prozent der Lehrer das Instrument der Selbstevaluation, schätzt die stellvertretende Schulleiterin Ines Hebs. Die Module, die das ISQ bereitstellt, findet sie „ausgesprochen gut“. Eine schulinterne Arbeitsgruppe Evaluation habe „in jahrelanger Arbeit“ auch eigene Fragebögen erstellt. So würden etwa Eltern und Kinder in allen Jahrgangsstufen zum Schulleben, zum Ganztagskonzept, zur Kursleitertätigkeit befragt. Die Lenné-Schule, meistangewählte Gesamtschule der Stadt, habe sich schließlich auf die Fahnen geschrieben, ein hohes Maß an Qualität zu halten, so Hebs. „Es reicht nicht, einmal gut zu sein; den Standard zu halten, ist schwierig. Evaluierungen sind dabei eine wichtige Säule.“ Eine Verpflichtung zur Teilnahme wie in Berlin praktiziert hält sie allerdings für falsch. „Der Weg sollte umgekehrt sein und mehr Lehrer davon überzeugt werden.“
Bislang stehe das Feedback „nicht so in unserem Fokus“, gesteht die Schulleiterin des Helmholtz-Gymnasiums, Grit Steinbuch. Zwar kenne sie das Instrument des Instituts für Schulqualität, aber stringent durch das Kollegium hinweg werde die Methode nicht angewandt. „Da haben wir noch Reserven“, so Steinbuch. Allerdings befürchtet sie einen erhöhten Arbeitsaufwand. Denn allein mit den Fragebögen ist es für sie nicht getan. „Es bringt nichts, wenn man Schülern das einfach vorsetzt.“ Künftig will sie mehr Kollegen zu der Selbstevaluation anhalten und im besten Fall eine Arbeitsgruppe bilden – auch ganz ohne Verpflichtung.
Grit Weirauch
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