zum Hauptinhalt

Homepage: Wenn der Torwart machtlos wird

Fußball und Physik: Fliehkräfte, der Magnus-Effekt und die hohe Kunst des Eckballs

Stand:

Noch knapp vier Wochen bis zur Fußball-Weltmeisterschaft. Auch Potsdamer Wissenschaftler sind im Fußball-Fieber. In dieser Serie fragen die PNN, was die Experten am Fußball beschäftigt. Heute sprachen wir mit Prof. Ditmar Wick von der Universität Potsdam über die physikalische Dimension des Ballspiels.

Fußball und Physik – da treffen zwei Welten aufeinander. Beide mit ihren eigenen Fachbegriffen und Vokabeln. Bahnenflanke, Freistoß hier – Magnus-Effekt, Quer- und Fliehkräfte dort. Und doch haben Fußball und Physik einiges gemeinsam. Denn ohne Magnus-Effekt gäbe es keine gezirkelten Freistöße. Prof. Ditmar Wick, Sportwissenschaftler an der Universität Potsdam nimmt Papier und Stift zur Hand, um die beiden Welten in kleinen Grafiken zu vereinen.

„Wenn man einen Ball mit dem Fuß in der Mitte trifft, fliegt er naturgemäß geradeaus“, erklärt Wick. Trotzdem gibt es Fußballer, die den Ball in gebogenen Flugbahnen abheben lassen oder sogar um Hindernisse wie eine gegnerische Mauer herum schießen. „Dazu muss man den Ball am Zentrum vorbei treffen“, erklärt Wick. So erhalte er eine Drehbewegung. Trifft diese nun auf die entgegenkommenden Druckkräfte der Luft, entstehe an den Seiten des Balls ein Über- bzw. Unterdruck. Auf der Seite, in die sich der Ball dreht, erzeugt dieser Überdruck ein Hindernis, dem der Ball ausweicht. „Er wird abgelenkt“, bringt es Wick auf den Punkt.

In der Praxis des Fußballplatzes lässt sich das bei einem Eckball beobachten. Der Ball scheint gerade in den Strafraum zu fliegen. Doch kurz vor dem Torwart dreht der Ball weg. Ein heranstürmender Spieler kann ihn dann leicht einköpfen. Das lasse sich auf alle Standardsituationen im Fußball übertragen, erklärt Wick. „Beim Freistoß hat der Schütze verschiedene Möglichkeiten.“ Vor ihm steht das Tor mit dem Torhüter, davor in der Regel eine Mauer aus gegnerischen Spielern. Der Schütze kann es wieder mit dem Magnus-Effekt versuchen. Trifft er den Ball optimal, kann er ihn um das Hindernis herumdrehen oder darüber. „Dann ist der Torwart machtlos“, so Wick. Eindrucksvolle Beispiele einiger Kunstschützen wie Roberto Carlos geben ihm Recht. Der einzige Nachteil: Die angeschnittenen Bälle fliegen langsamer als ein fulminanter Direktschuss. Idealerweise kommen sie auf rund 100 Stundenkilometer. Der gerade Gewaltschuss stellt daher die zweite Variante für den Schützen dar. „Einige seiner Mitspieler drängeln sich in die gegnerische Mauer, um eine Lücke zu öffnen“, beschreibt Wick. Findet der Schütze dieses Loch, könne er den Ball mit voller Wucht abziehen. „Dann kommt er auf 120 bis 140 Stundenkilometer“, erklärt Wick.

In der Sprache der Physik hört sich das alles ganz leicht an. „Die Gesetzmäßigkeiten sind immer die gleichen – auch beim Doppelpass“, sagt Wick. „Das beherrscht nur nicht jeder Spieler.“ Hätte es geholfen, wenn Michael Ballack und Co. früher im Physikunterricht besser aufgepasst hätten? So einfach sei es leider nicht. „Solche Schüsse erfordern einen hohes koordinatives Geschick“, sagt Wick. Das habe nun einmal nicht jeder.

Manche Dinge funktionieren in der Praxis auch so. Der Abschlag des Torwarts etwa. Er nimmt Anlauf, rennt ein paar Schritte und drischt den Ball dann aus der Hand möglichst weit in die gegnerische Hälfte. Doch auch hier steckt Physik dahinter. „Der Torwart muss den Winkel beachten“, sagt Wick. „Optimal sind 45 Grad.“ Wenn dann noch die Geschwindigkeit möglichst hoch ist, und der Ball möglichst hoch getroffen wird, könne der Torwart den Ball sogar über die Länge des Feldes hinaus schießen. „Dafür gibt es aber keine Punkte“. Hier muss sich Wick den Gesetzen des Sports beugen.

Wieder anders sieht es aus, wenn Fußballer den Ball mit der Pike treten, der Spitze des Fußballschuhs. Eigentlich ist sie denkbar ungeeignet für einen Schuss. „Der Spieler hat vier Möglichkeiten, wenn er den Ball kontrolliert schießen will: Vollspan, Innenseite, Außenseite oder volley“, so Wick. In allen Fällen könne er kontrollieren, in welche Richtung der Ball fliegt. Mit der Pike gehe das nicht, weil keine Fläche gegen den Ball tritt, sondern nur ein spitzer Punkt. Der Schütze hat keinen Einfluss, wo der Ball hinspringt. „Das kann in bedrängten Situationen hilfreich sein“, sagt Wick. Es hat sogar noch einen weiteren Vorteil, der sich mal wieder mit Hilfe der Physik erschließt. Durch das Eindringen der Fußspitze in den Ball, verformt sich dieser leicht. Es entsteht Überdruck, der Ball springt automatisch ab und erreicht so auf kurzer Distanz eine höhere Geschwindigkeit. So kann ein Stürmer kurz vor dem Tor den Torwart vielleicht austricksen. Ab einer Distanz von 18 bis 20 Metern zum Tor mache das aber keinen Sinn mehr: „Der Ball würde abdriften.“

Lässt sich also ein Spiel mit Hilfe der Physik im Voraus berechnen? Wohl nicht. „Es kommt auch auf die Beschaffenheit des Balls an“, gibt Wick zu bedenken. Wenn er mehr oder weniger Luft hat, ändere sich das Flugverhalten. Früher, 1954, als Deutschland das Wunder von Bern schaffte, gab es noch Lederbälle. „Die wurden bei Regenwetter immer schwerer“, erklärt Wick. Freistoßtricks waren da nur noch schwer möglich. Der Fußballer spricht vom Fritz-Walter-Wetter. Der Physiker würde seinen Magnus-Effekt um ein paar Variablen erweitern. Und schon wäre wieder jeder in seiner Welt angekommen.

Bodo Baumert

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })