
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Wenn der Wein schlafen geht
Am Pfingstberg hat Bülent „Toni“ Demir eine alte Tradition wiederbelebt
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Dunkle Nebbiolo-Trauben hängen überreif an den Rebstöcken. Die Herbstsonne hat das letzte Quäntchen Aroma in die Beeren getrieben. Doch niemand wird dereinst wissen, ob es ein guter Jahrgang war. Denn die Trauben der Nebbiolo-Reben (von italienisch „nebbia“ – Nebel) werden bald im herbstlichen Nebel versinken – nachdem ein scharfer Schnitt mit des Winzers Schere sie von den Pflanzen getrennt haben wird. Zu Füßen der Rebstöcke werden die Beeren vergammeln. Kompost statt Wein. Was würde Bacchus dazu sagen?
Er wäre wohl damit einverstanden, dass Hobbywinzer Bülent „Toni“ Demir seine Trauben dem irdischen Kreislauf von Werden und Vergehen so unmittelbar anvertraut. Demir, der mit seiner Familie das historische Winzerhaus unweit der Villa Henckel bewohnt, hat hier, am Rande des Pfingstbergs, vor mehr als vier Jahren eine alte Tradition wieder aufgenommen und Wein angebaut. Einige Spuren des einstigen Weinanbaus im Gebiet zwischen Pfingstberg und Jungfernsee sind noch heute sichtbar. Die Bezeichnung „Winzerhaus“ und der Name „Große Weinmeisterstraße“ weisen darauf hin, dass in dem Gebiet einst Weinbau betrieben wurde. Auf einem Stadtplan der „Residenzstadt Potsdam“ von 1778 sind vom Ufer des Heiligen Sees – wo sich heute der Neue Garten erstreckt – bis hinauf zu den Hängen des Pfingstbergs, damals „Judenberg“, Weingüter eingezeichnet.
Seit 2006 wohnt Demir mit seiner Familie in dem klassizistischen Winzerhaus, das um 1800 auf der Anhöhe oberhalb der Großen Weinmeisterstraße errichtet wurde, ein Putzbau mit hölzernem Portikus. Die Fassade ist in hellem Gelb gehalten. Bei seinem Einzug sei der Garten neben dem Haus völlig verwildert gewesen, erzählt der gebürtige Türke, der in den 90er Jahren nach Potsdam kam und seit 2002 das Ristorante „Villa von Haacke“ in der Hegelallee betreibt. Mit großem Gerät habe er erst einmal Ordnung in seinem Garten schaffen müssen. Da „habe ich das hier plattgelegt“, sagt Demir. Alte Obstbäume hat er gerettet. Seitdem pflege er sie ganz ohne Chemie.
Bei Recherchen habe er dann festgestellt, dass in seinem Garten einst ein Weinberg angelegt war. Ein paar Schritte vom Haus entfernt fand Demir Reste einer alten Terrassierungsanlage. Möglich, dass sie früher dem Weinbau diente. Demir beschloss, diese Tradition wieder aufzunehmen. Im Jahre 2007 hat er die Rebstöcke gepflanzt. Aus Italien wurden sie angeliefert. Mitten im Winter. Bei Schnee habe er die Pflanzen in die Erde bringen müssen.
Die Weinlese musste sich Demir bislang noch verbieten. Denn, so der Hobby-Fachmann – „ich mache das als Hobby und etwas Profi“ – in den ersten Jahren dürfe der Wein nur zurückgeschnitten, aber noch nicht geerntet werden. Die Trauben verblieben jeweils am Weinstock, bis sie ausgereift waren. Dann hat Demir sie abgeschnitten und einfach fallen lassen. Schließlich düngen sogar die Trauben. So macht er es auch in diesem Jahr. „Der geht zum Schlafen“, sagt Demir mit Blick auf seine überreifen Trauben.
Doch nun freut sich der 45-Jährige schon auf das nächste Jahr. Dann soll es die erste Weinlese geben. Und die will er mit einem richtigen Weinfest feiern. Er träumt bereits vom Grappa aus seinen eigenen Trauben. Den möchte Demir zukünftig seinen Gästen im Ristorante anbieten. Schon jetzt verwende er dort Gemüse aus dem eigenen Garten.
Die herbstlichen Überreste der Gemüsepflanzen sind in seinem Garten zurzeit noch zu sehen. Natürlich bedürfe das alles einer intensiven Pflege, sagt Demir. Doch daran hat der Gastronom offenbar große Freude. Viele Stunden am Tag verbringe er mit Gartenarbeit. „Das ist wie eine Therapie“, gerät er ins Schwärmen. Am Schluss lässt Demir seinen Blick noch einmal über die Anlage schweifen. „Hier ist wie Urwald“, sagt er schließlich und zeigt auf die Wildnis aus Robinien, Ahornbäumen und Linden am Rande seines Garten. Dann geht sein Blick hinüber zu seinem Wein- und Gemüsegarten. Noch einmal gerät der Italien-Liebhaber ins Schwärmen: „Hier ist wie Toskana.“
Holger Catenhusen
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