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Steffi Pyanoe.

© A. Klaer

Kolumne PYAnissimo: Wenn die Schildkröte frisst

Der Frühling ist bisher, das muss man so mal sagen dürfen, eine einzige Verarsche. Mal sind es 15 Grad und ich bin kurz davor, die Terrassenstühle aus dem Keller zu holen.

Stand:

Der Frühling ist bisher, das muss man so mal sagen dürfen, eine einzige Verarsche. Mal sind es 15 Grad und ich bin kurz davor, die Terrassenstühle aus dem Keller zu holen. Und dann wieder Schnee und Frost. Dem Nachbarn sind glatt die Rosen zum Valentinstag auf dem Balkon erfroren.

Natürlich, es ist erst Februar, alles noch normal, heißt es, früher sind wir im Februar sogar im Flachland Ski gefahren. Jetzt haben alle Leute Vitamin-D-Mangel und Depressionen und Schweinegrippe, weil der mickrige Frühling, der ja gefühlt schon längst da ist, einfach nicht in die Puschen kommt. Und man fragt sich: Was tun bei dem grauen Wetter, in dieser charakterlosen Zwischenzeit? Alle Museen und Ausstellungen sind abgearbeitet, alle Partys gefeiert, alle Schokolade von Weihnachten aufgegessen, alle Entspannungsbäder aufgebraucht. Und jetzt? Selbst meine Blumenzwiebel aus dem letzten Jahr – zum ersten Mal ist es mir gelungen, eine rüber zu retten und neu treiben zu lassen –, selbst die hat zwar jede Menge Blätter, aber keine einzige Blüte!

Ich weiß, die ahnt was. Wenn eine Jahreszeit schon Frühling heißt, kann das ja nichts werden. Früh ist schon mal schlecht, klingt nach Müdigkeit und Dämmerung, nach Pflichtbewusstsein, Fremdbestimmung und Busfahrplan. Und dann diese Endung: Ling! Irgendetwas mit Ling hinten kann man nicht für voll nehmen, Schwächling, Hänfling, Winzling. Der Frühling, er ist, zurzeit zumindest, ein Emporkömmling, ein Jüngling, noch etwas schwach auf der Brust, ein Frischling, ein Fiesling, wie man sieht, mal ist er da, mal nicht. Es ist wie in dem Erich-Kästner-Gedicht: „Die Bäume schielen nach dem Wetter. Sie prüfen es. Dann murmeln sie: Man weiß in diesem Jahre nie, ob nun raus mit die Blätter oder rin mit die Blätter oder wie?“

Hol ich mir den Frühling also aus der Gemüsetheke des Einzelhändlers meines Vertrauens, dachte ich. Und wie ich gerade den Reifegrad diverser Früchte diverser Kontinente prüfe, den Vielfliegerkiwis meine Daumen in den grünen Pelz drücke, an den Polen der Flugmelonen den Duft des Sommers zu erschnüffeln versuche, steht sie plötzlich neben mir, die alte Frau, gebeugt über ihren Rollator, auf dem die große Handtasche liegt, weit geöffnet. Wo denn die ganzen Kohlrabiblätter sind und das aussortierte Obst, fragt sie. „Die Schildkröte“, murmelt sie vor sich hin, aber doch so, dass es jeder hören kann, „die Schildkröte frisst und frisst. So viel, das können Sie sich nicht vorstellen. Jetzt nach dem Winterschlaf.“ Dann beugt sie ihren kleinen Kopf über den Abfalleimer und holt ein Bündel Grünzeug heraus. So wie die Frau, denke ich, würde später die Schildkröte ihren kleinen wackeligen Kopf nach den leckeren Blättern ausstrecken. Und plötzlich verspüre ich einen großen Trost: Wenn die Schildkröte aufgewacht ist und frisst, dann wird doch noch alles gut.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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