zum Hauptinhalt

Homepage: Wenn Japaner unter die Wölfe gehen Auftakt der Civitas- Vorlesung an der FH

Wer der Meinung ist, dass Hartz IV eine Katastrophe für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist, dem sei gesagt: es kommt noch wesentlich dicker. Der Begriff „Demografische Entwicklung“ klingt harmlos, was sich aber dahinter verbirgt, besitzt alle Eigenschaften eines Ebola-Virus: gegen die rasante Entvölkerung (mit gleichzeitiger Überalterung) weiter Landstriche Brandenburgs – bis 2040 soll die Bevölkerung von 2,5 Millionen Einwohner auf 1,8 Millionen schrumpfen, von denen ein Drittel über 65 Jahre alt sein wird – scheint es keine Medizin zu geben.

Stand:

Wer der Meinung ist, dass Hartz IV eine Katastrophe für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist, dem sei gesagt: es kommt noch wesentlich dicker. Der Begriff „Demografische Entwicklung“ klingt harmlos, was sich aber dahinter verbirgt, besitzt alle Eigenschaften eines Ebola-Virus: gegen die rasante Entvölkerung (mit gleichzeitiger Überalterung) weiter Landstriche Brandenburgs – bis 2040 soll die Bevölkerung von 2,5 Millionen Einwohner auf 1,8 Millionen schrumpfen, von denen ein Drittel über 65 Jahre alt sein wird – scheint es keine Medizin zu geben. Sie ist bereits in die heutige Altersstruktur einprogrammiert. Vieles spricht dafür, dass sich Luchs und Wolf wieder ansiedeln. Die Ringvorlesung „Civitas“ der Fachhochschule begann am Montag unter dem Titel „Leerstand und Fülle“, sich dem Thema zu stellen. Zunächst verließ man nach drei Jahren den herrschaftlichen Rahmen des Palais am Stadthaus und zog in weitgehend leer stehende Betonhülse des „Schaufensters“ im Erdgeschoss der FH an der Friedrich-Ebert-Straße. Die nackten Kalkwände im Blick, saß ein Gruppe von 50 Zuhörern im Kreis, um der Referentin Dr. Heike Ellner vom Ministerium für ländliche Entwicklung, Umwelt- und Verbraucherschutz, zuzuhören. Die Kälte, die sich langsam ausbreitete, strömte nicht nur aus dem Betonboden. Allein der Ton und die Art der Präsentation über die Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Verkehrsnachfrage, in der alle zehn Sekunden eine neue Folie auf den Projektor geworfen wurde, ließen vormals nach sozialer Wärme schreiende Herzen zu Eis werden. Die eiskalte Präzision der Sprache der Statistiker spulte Ellner perfekt ab, als wäre sie auf einem Abteilungstreffen. Wer reale, von Menschen besiedelte Landschaften mit Begriffen wie „engerer Verflechtungsraum“ und „äußerer Entwicklungsraum“ bezeichnet (Begriffe der Politik), wer von „Sterbeüberschüssen“ redet und junge Frauen für „reproduktive Faktoren“ hält, der mag gut rechnen und verwalten können. Gleichzeitig entfernt man sich vom Wesen einer sozialen und menschlichen Anschauung, die Politik möglich macht. Zu den Ergebnissen: In den dünn besiedelten Gebieten an den Grenzen Brandenburgs wird der Individualverkehr zunehmen, weil sich der öffentliche Nahverkehr nicht mehr lohnen wird. Der Ausbau des Straßennetzes in diese Gebiete wird in unterschiedlichen Ausbaustufen erfolgen, oft reicht eine einfache einspurige Schotterstraße mit Ausweichstelle, wie in Irland oder Skandinavien. Im Auditorium, gut besucht von den späteren Referenten, entstand im Anschluss eine beinah befreiende Diskussion, in der zunächst Zweifel über die von Ellner verwendete Bevölkerungsprognose laut wurden. Welchen Einfluss kann die Osterweiterung und der Güterverkehr haben? Wollen Polen überhaupt in die Gebiete ziehen, die von Deutschen bereits aus Arbeitsmangel verlassen wurden? Der liebenswerteste Vorschlag des Abends zeigte gleichzeitig auch die Bedeutung der Civitas Reihe: nämlich nach einer Beschreibung auch einen Schritt weiter zu denken und neue Wege aufzuzeigen, manchmal auch unkonventionelle. Wie wäre es, so ein ironischer Vorschlag aus dem Publikum, die von Entvölkerung bedrohten Gebiete Brandenburgs den von Erdbeben gebeutelten Japanern anzubieten? In Asien explodiert die Bevölkerung, es herrscht Grundstücksmangel, Eigenheime sind unbezahlbar. Mit Hilfe der modernen Telekommunikation könnte ein Japaner auch in der Uckermark seinen Geschäften nachgehen. Und nebenbei Wölfe beobachten. Matthias Hassenpflug Nächste Civitas-Vorlesung: 1. November, „Kulturelle Projekte in schrumpfenden Regionen“, 18 Uhr, Friedrich-Ebert-Str. 6.

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })