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Landeshauptstadt: Wenn Kinder Mütter werden

In der Feuerbachstraße hilft das Mutter- Kind-Wohnen-Projekt bei den ersten schwierigen Schritten

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In der Feuerbachstraße hilft das Mutter- Kind-Wohnen-Projekt bei den ersten schwierigen Schritten Von Dirk Becker Enttäuscht war Kathrin* schon. Als ihre Tochter Julia*, mittlerweile ein Jahr alt, zuerst „Papa“ statt „Mama“ sagte, hat sie das getroffen. Vor allem, da der „Papa“, wie sie es ausdrückt, zwar noch „vorhanden“ ist, aber wenig Interesse an seiner Tochter zeigt. Kathrin erzählt gern von Julia, die derweil auf ihrem Schoß sitzt und mit großen Augen ihr Gegenüber mustert. Eigentlich ein ganz normales, glückliches Mutter-Kind-Verhältnis und doch fragt man noch einmal nach, ob Kathrin nicht enttäuscht war, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Enttäuscht darüber, dass ihre Jugend vorbei war, bevor sie überhaupt richtig begann. „Enttäuscht nicht, nur etwas erschrocken“, erklärt die 16-jährige Mutter. Die Zahl der Mütter unter 18 Jahren steigt. In Brandenburg brachten im vergangenen Jahr minderjährige Mädchen 327 Babys zur Welt. 1999 waren es noch 296 Geburten. Viele Mädchen verdrängen, was immer offensichtlicher wird. Ist das Kind auf der Welt, scheinen die Probleme viel zu groß, wird Hilfe unabdingbar. Seit Juli wohnen Kathrin und Julia in der Feuerbachstraße. In einem großen hellen Zimmer einer Wohngemeinschaft, in das sie sich zurückziehen können. Zu Hause ist Kathrin ausgezogen, weil es Unstimmigkeiten bei der Erziehung ihrer Tochter gab. Die Unterstützung ihrer Mutter wurde ihr irgendwann zu viel. Mit 15 Jahren ein Kind zu bekommen ist das eine. Sich um das Kind zu kümmern eine andere Sache. Gut gemeinte und notwendige Hilfe kann schnell in eine Übernahme der Verantwortung umschlagen. „Ich hatte Angst, dass meine Tochter zuerst meine Mutter mit Mutti ansprechen würde.“ Im Mutter-Kind-Wohnen-Projekt des Potsdamer Kinder- und Jugendhilfeverbundes „Eva Laube“ vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk Lazarus (EJF-Lazarus) wird Kathrin nun begleitend durch die Hilfe der Erzieherinnen auf ein eigenständiges Leben mit ihrer Tochter vorbereitet. Vier Wohnungen hat das EJF-Lazarus in der Feuerbachstraße gemietet und kann so Platz für sechs junge Schwangere oder Mütter bieten. Als ein Hilfsangebot bezeichnet Sylke Knuth, die seit sechs Jahren als eine von vier Erzieherinnen im Mutter-Kind-Wohnen-Projekt arbeitet, die Einrichtung. Ein Hilfsangebot für junge Frauen, die ihr Mutterdasein nicht allein bewältigen können. Seit 1993 wurden knapp 40 Mütter und ihre Kinder in diesem Projekt betreut, zuerst noch in Sacrow, seit 1996 in Potsdam. Eine Papierraupe, die mit je einem Foto an die ehemaligen kleinen Gäste erinnert, reicht mittlerweile über zwei Wände in der geräumigen Wohnküche. Im Durchschnitt zwischen 15 und 17 Jahre alt sind die jungen Frauen, die hier unterkommen. Obwohl der Begriff Frau in den meisten Fällen doch zu weit geht. „Manche sind selbst noch Kinder“, sagt Sylke Knuth. Kinder, die ungewollt zu Müttern werden. Derzeit leben sechs von ihnen, die jüngste ist 14, in der Feuerbachstraße. Zwar will Sylke Knuth nicht von einer Tendenz sprechen, denn mal sei das Mutter-Kind-Wohnen-Projekt ausgelastet, dann wieder nicht. Doch dass die Zahl der jungen Mütter unter 18 Jahre zurzeit ansteigt, kann auch sie bestätigen. Oft genug mit Problemen im eigenen Leben, müssen die jungen Mütter nun ein Maß an Verantwortung übernehmen, dem sie allein selten gewachsen sind. Hinzu kommen Probleme im Elternhaus, fehlende Akzeptanz, nicht selten auch Gewalt. Ansprechpartner für die jungen Mütter oder Schwangeren ist das zuständige Jugendamt. Die Eltern der Mädchen oder Ärzte geben die Hinweise, wenn Hilfe gebraucht wird. Manchmal kommen die jungen Mütter auch von allein. Das Jugendamt vermittelt dann einen Platz im Wohnprojekt.24 Stunden umfasst die Betreuung in der Feuerbachstraße. Sylke Knuths Arbeit besteht vor allem darin, die jungen Mütter im Umgang mit ihrem Kind anzuleiten und zu begleiten. Spielen, Füttern, Baden, mit dem Kind reden, all die kleinen Dinge müssen gelernt werden. Und oft auch die Akzeptanz des eigenen Kindes. Auf der einen Seite die Mutterrolle, auf der anderen die Bedürfnisse wie sie jeder normale Teenager hat, hier gilt es nicht selten einen großen Zwiespalt zu überwinden. Manche der jungen Mütter, durch die Schwangerschaft aus der eigenen Kindheit gerissen, wollen oft selbst noch Kinder sein. Sylke Knuth und die das Team betreuende Psychologin Heike Manke-Genschow erleben immer wieder, dass anfangs die eigenen Bedürfnisse bei den Müttern im Vordergrund stehen. „Die Liebe ist meistens da“, erklärt Heike Manke-Genschow. Doch dauert es manchmal eine Weile, bis sie die neue Situation und ihr Kind annehmen können. Hier helfen die Erzieherinnen und dabei, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen. Einige der jungen Mütter versuchen im Mutter-Kind-Wohnen-Projekt die Schule oder eine Berufsausbildung zu beenden. Der geregelte Tagesablauf und die Unterstützung durch die Erzieherinnen sollen dies ermöglichen. Zwischen wenigen Monaten und bis zu mehreren Jahren kann das betreute Wohnen in der Feuerbachstraße dauern. Selbständigkeit lernen, Verantwortung übernehmen und sich Problemen stellen, es ist nicht wenig, was die Mädchen, die vor wenigen Monaten noch einfach nur für einen Popstar schwärmten, hier lernen müssen. Und dabei können auch mal die Türen knallen. „Oft sind es Nichtigkeiten, die das berühmte Fass zum Überlaufen bringen“, sagt Sylke Knuth. Aber wo knallen nicht die Türen? Und wo wenn nicht hier hätte man mehr Verständnis dafür? Sylke Knuth weiß mit diesen Ausbrüchen umzugehen. Auch der Umgang mit Streitigkeiten muss von den Bewohnerinnen oft noch gelernt werden. Und trotz heftigster Ausbrüche hat Sylke Knuth in den Jahren als Erzieherin im Mutter-Kind-Wohnen-Projekt beobachtet, dass sich fast alle der jungen Mütter irgendwann mit der nötigen Stärke und Selbstbewusstsein der Aufgabe stellen – und dass der Weg dorthin nicht einfach ist. Dieses nötige Selbstbewusstsein besitzt Kathrin schon. Immer wieder überrascht sie. Selbst die vorsichtige Frage nach einem zweiten Kind beantwortet sie prompt und ohne Zögern: „Julia bleibt kein Einzelkind.“ Doch zuerst will sie ihr Abitur machen und dann Jura studieren. Sie will ihren Weg gehen, und den gemeinsam mit Julia. Und was manche Vorurteile über junge Mütter betrifft, begegnet Kathrin auch diesen mit nötigem Selbstbewusstsein. „Man kann mit 16 Jahren eine genauso gute Mutter sein wie mit 30.“ Wer Kathrin kennen gelernt hat, dem wird es schwer fallen, ihr da zu widersprechen. (* Namen auf Wunsch geändert)

Dirk Becker

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