Homepage: Wenn sich Hocker unterhalten
Ideen und Innovation: Der FH-Studiengang „Interface-Design“ wurde als „Ort der Ideen“ ausgezeichnet
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Das Problemfeld ist schnell umrissen. Nach einem Stromausfall blinkt das sündhaft teure Hightech-Küchenradio orientierungslos daher. Wie war das doch gerade noch, Sender und Zeit einstellen? Schnell hat man auf den vielen kleinen Tastern herumgedrückt, versucht es so wie beim Radiowecker. Irgendwann rauscht ein Mittelwellensender aus dem Lautsprecher, die Zeitangabe zeigt weiterhin „00:00“ – nur das Blinken ist schneller geworden, bedenklich schneller. Das Bedienungshandbuch würde weiter helfen. Doch in welcher Schublade es mittlerweile verschwunden ist, weiß niemand mehr.
Was sich hier auftut, ist der Graben zwischen Mensch und Maschine, der mit dem technischen Fortschritt immer größer wird. Ein Zwiespalt, an dem manch geplagter Handy-, Digitalkamera oder PC-Nutzer schier zu verzweifeln droht. Der in Deutschland einzigartige Studiengang „Interface Design“ an der Fachhochschule Potsdam will hier Abhilfe schaffen. „Wir möchten dem normalen Nutzer elektronischer Medien einen Umgang mit den Apparaten ermöglichen, der nicht nur leicht handhabbar ist, sondern auch Spaß macht“, fasst Prof. Reto Wettach vom Studiengang die Idee des Interface Design zusammen. Für seine außergewöhnliche Arbeit wurde der Studiengang am Mittwochabend im Rahmen der Initiative „Land der Ideen“ ausgezeichnete. Und zwar, wie gerne betont wurde, als einziger Fachhochschul-Studiengang in Deutschland unter den 365 zum WM-Jahr präsentierten Einrichtungen. Was sicherlich auch etwas damit zu tun hat, dass hier der gestalterische Aspekt des Designs mit der Forschung verknüpft wird, wie Dekan Prof. Walter Hardt hervorhob. Doch natürlich spielte auch die Innovation und Unkonventionalität der Dinge eine Rolle, die hier erdacht werden.
Im Ausstellungsraum dominieren erst einmal die Computerbildschirme. Über einen der Bildschirme kriechen kleine, digitale Monster, die auf Fingerdruck bewegt und sogar geärgert werden können. Schiebt man sie in eine andere Ecke, fangen sie an, die dort wabernden PC-Tierchen zu attackieren. „Illustractive“ heißt das Projekt von Christopher Warnow, das sich dem Außenstehenden nicht auf Anhieb als illustrative Anwendung erschließt. Eine Fingerübung für Illustration, die trotz ihres gedanklich etwas abgehobenen Überbaus durch ihre Verspieltheit Spaß macht. Der Haustierzoo auf dem Rechner ist einfach ulkig, was auch immer dahinter stecken mag.
Deutlicher wird das Anliegen dann bei „Bubble World“ von Henning Reich. Die demographischen Daten der Weltbevölkerung werden hier nicht mit unverständlichen Graphen wiedergegeben, sondern die Lebenserwartung in 189 Ländern schlägt sich in ebenso vielen Blasen nieder, die sich je nach Lebensdauer größer und farbiger aufblasen. Am dichtesten wird es um Mitteleuropa und Japan, auch Indien blubbert gewaltig, während Nord- und Südafrika kaum zum Schäumen kommen.
Noch anschaulicher dann die Ideen für das tägliche Aufstehen. Wer Probleme mit einem landläufigen Wecker hat, kann in Zukunft vielleicht auf „Blank-O-Matic“ zurückgreifen. Die Studentinnen Eva Burneleit und Katrin Lütkemöller haben einen Wecker erdacht, der nicht klingelt. Er zieht einem vielmehr die Bettdecke weg. „Kein Einkuscheln mehr mögliche!“, heißt es in der Beschreibung. Allerdings nur eine Idee für den Winter, könnte man an heißen Sommertagen doch froh darüber sein, dass die Decke verschwindet. Einen Schlaftest haben die beiden Studentinnen noch nicht gemacht, aber die wachen Testpersonen waren sich sicher, dass man von der Vorrichtung aufwacht. Auch Susann Hamann und Fabian Hemert haben sich Gedanken zum Aufstehen gemacht. Ihre These: Gerade Freiberufler müssen nicht mehr zu einer festen Zeit aufstehen. Sie wissen vielmehr, dass sie eine bestimmte Zeitspanne Schlaf benötigen. Also kann man an ihrer digitalen Sanduhr per Schütteln eine gewünschte Stundenzahl einstellen. Das Wecksignal lässt sich durch umdrehen noch ein paar Minuten besänftigen. Wenn man die blinkende Glasröhre hinlegt, ist Ruhe. Weiterschlafen möglich.
Eine Idee, die tatsächlich eine Umsetzung finden könnte, ist der „Leitende Blindenstock“ von Andreas Thom. Eine kleine, drehbare Scheibe am Griff kann dem Halter des Stockes eine Richtung angeben. Wenn das Produkt ausgereift ist, könnte man dem „intelligenten Blindenstock“ einen gewünschten Weg angeben, den er dann mittels GPS-Satellitennavigation dem Blinden beim Gehen über den Richtungsweiser vermittelt. Vibrationsimpulse geben zusätzlich nötige Informationen. Nach anfänglicher Skepsis beim Blindenverband habe man nun Interesse an der Entwicklung gezeigt. Noch ist es ein Prototyp, aus dem ein wildes Drahtbündel hervorquillt. Doch die Machbarkeit dieser Idee werde derzeit mit möglichen Partnern aus der Wirtschaft geprüft.
Aber nicht nur Dinge mit einem direkten Nutzen entwickeln die Interface-Designer. Als sich einer der zahlreichen Besucher erschöpft vom gespannten Betrachten der Prototypen auf einen Hocker sinken lässt, flackert dieser plötzlich auf. Er blinkt einem anderen besetzten Hocker zu, der ebenso unerwartet erwacht zu sein scheint. „Talking Seats“ nennt Fabian Brunsing seine Idee. Die Stühle fangen an, sich zu „unterhalten“, wenn jemand auf ihnen sitzt. So sollen sie dabei helfen, das Eis zwischen den Sitzenden zu brechen und eine Kommunikation in Gang zu bringen. Eine amüsante Idee aus dem Bereich des Ambiente, die sich in einer anonymen Großstadtbar sicher gut machen würde. Passend dazu könnte man dann die interaktiv blinkende „Photonen-Shirts“ von Benedikt Gnadt und Flo Köhne tragen (Foto).
Wie wichtig es ist, die Barrieren zwischen Mensch und Maschine abzubauen, bestätigten auch die Festredner aus Politik und Wissenschaft, die zur Vergabe der Auszeichnung sprachen. So erinnerte sich etwa Brandenburgs Wissenschaftsministerin Johanna Wanka (CDU) an einen zweistündigen Stau, in dem sie aus Langeweile das Bedinungshandbuch ihres Dienstwagens studierte. Ihre Erkenntnis: Nicht nur, dass vieles Unverständlich blieb, das meiste schien gar vollkommen überflüssig: „Eine Verschwendung von Ressourcen.“
Design-Dekan Prof. Hardt erinnerte sich an eine Begebenheit aus seiner Zeit in der Wirtschaft. In den 80er Jahren hatte er das Produktdesign des ersten Geldautomaten entwickelt. Bei der Erprobung ergab sich Erstaunliches: Ein älterer Mann hob 300 Mark ab, füllte dann einen Scheck aus und schob ihn in den Geldausgabeschlitz. „Mir wurde schlagartig klar, dass wir Designer uns stärker mit den Menschen auseinander setzen müssen, die die Maschinen zu bedienen haben“, erklärte Hardt sein Schlüsselerlebnis. Was bei seinen Kollegen Gehör fand. Wünscht sich doch der neu gewählte FH-Präsident Johannes Vielhaber, dass er morgens die Maschinen, die er als Bauingenieur braucht, wieder selbst in Gang setzen kann – ohne dabei auf die Hilfe mehrerer Assistenten angewiesen zu sein.
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