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ZUR PERSON: „Wenn’s nicht geht, dann geht’s nicht“
Geher Christopher Linke über seinen 9. Platz bei der Leichtathletik-WM in Moskau und die Attraktivität seiner Sportart
Stand:
Wie gut könnten wir uns jetzt auf Russisch unterhalten?
Ganz wenig. Eigentlich kann ich nur „Hallo“ und „Danke“ sagen, wobei mir das jetzt spontan auch gar nicht einfällt.
Sdráßtwujti wäre also schwierig?
Wenn man es mir noch mal in Erinnerung ruft, dann fällt es mir wieder ein. Aber international wird bei Wettkämpfen hauptsächlich Englisch gesprochen.
Welche Erfahrung bringen Sie dennoch von der Leichtathletik-WM aus Moskau mit?
Ich bin mit viel Vorfreude angereist, weil ich weiß, dass Russland ein unglaublich Geher-begeistertes Land ist und man da als Geher noch einen großen Stellenwert hat. Doch von der WM-Atmosphäre war ich enttäuscht. Die Wettkampfstrecke war okay, aber die Stimmung war eher bescheiden. Für russische Verhältnisse war die Euphorie wirklich schlecht. Das bin ich aus Russland anders gewöhnt. Da kenne ich es so, dass es kilometerlang richtig laut ist und mehrere Tausend Menschen an der Strecke stehen.
Aber sportlich sind Sie mit dem 9. Platz im 20 Kilometer-Rennen zufrieden?
Sportlich war das Abschneiden auf jeden Fall zufriedenstellend. Obwohl ich weiß, dass noch mehr drin wäre, wenn ich noch mehr trainieren und ich mich mehr motivieren würde. Wegen meiner Knie- und Schienbeinprobleme in der Vergangenheit habe ich dieses Jahr versucht, ein bisschen ruhiger und kontrollierter zu trainieren. Nicht mehr ganz so lange Strecken, dafür tempointensiver. So bin ich relativ beschwerdefrei durchgekommen. Ich denke, dass ist der Schritt in die richtige Richtung und wenn ich dann den Umfang erhöhen kann und gesund bleibe, ist noch viel mehr drin.
Moskau hat gezeigt, dass die Weltspitze gar nicht so weit weg ist. Das dürfte doch zusätzlich motivieren.
Das auf jeden Fall. Ich bin in diesem Jahr Zehnter im Europacup geworden. So habe ich mir ausgerechnet, dass es nur noch acht oder sieben Europäer sind, die vor mir liegen. Dann kommen noch ziemlich viele aus der Welt dazu – Chinesen, Geher aus Guatemala, Mexikaner, Kolumbianer, da gibt es noch eine Menge, die auch gut gehen können. Somit wusste ich gar nicht genau, wo ich stehe. Ich habe mich vor der WM ganz schön aus dem Fenster gelehnt, als ich sagte, dass ich eine Top-Ten-Platzierung erreichen will. In Moskau hatte ich zwei große Ziele: entweder Top-Ten oder eine Zeit von 1:21:15 Stunden, um im nächsten Jahr ins Top-Team zu kommen und als Kader gefördert zu werden.
Das hat geklappt, weshalb Sie auf einen weiteren WM-Start über die 50 Kilometer verzichtet haben.
Es war nicht der Hauptgrund. Wenn ich insgesamt mit den 20 Kilometern nicht zufrieden gewesen wäre, hätte ich irgendwie noch versucht, die 50 Kilometer zu gehen, auch wenn es da sicher nicht für eine Top-Ten-Platzierung gereicht hätte.
Überall auf der Welt gibt es Geher, doch oft wird Ihre Sportart belächelt. Was macht für Sie das Gehen attraktiv?
Wenn ich sage, ich bin Geher, dann meint jeder: Hmm, okay. Wenn ich aber sage, ich bin Marathonläufer, dann hat jeder den höchsten Respekt vor mir. Wenn ich beim Berlin-Marathon mitmachen würde und als Geher als 500. ins Ziel komme und 39 500 Läufer hinter mir gelassen habe, ist es schon eine große Sache. Nur daran denkt niemand. Jeder hat im Kopf: „Seid ihr die mit den Stöcken?“ Nein, die sind wir nicht. Mit Gehen können einfach nicht viele etwas anfangen. Dabei stößt man beim Gehen an seine Grenzen. Anders als beim Laufen, wo man konditionell irgendwann völlig am Ende ist, geht dir beim Gehen einfach die Kraft aus. Im Training geht es mir oft so, dass ich nicht mehr gehen kann, aber zu jedem Zeitpunkt noch laufen könnte. Da wo Läufer aufhören, würde ich anfangen. Ich sage dann immer zu meinem Trainer: „Ich kann nicht mehr. Kann ich zurück rennen?“
Was sagt der Trainer dann?
Ja, wenn's nicht geht, dann geht's nicht.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass in Deutschland die besten Ausdauerathleten schnell gehen können, aber nicht schnell laufen?
Das ist schwierig. Ich bin froh, dass wir im Gehen nicht auch die afrikanische Dominanz wie die Läufer haben. Der Anspruch der Geher ist auch einfach ein anderer. Wir müssen absolute Weltspitze sein, um etwas zu erreichen und einen Appel und ein Ei zu kriegen. Der Anreiz ist bei uns ein ganz anderer. Mein Trainer sagt immer, wir Geher müssten mit goldenen Schubkarren zum Start gekarrt werden bei der Leistung, die wir im Gegensatz zu den Läufern erbringen.
In welcher Trainingsgruppe würden Sie gerne einmal mittrainieren?
Bei den Russen.
Warum?
In Potsdam haben wir zwar eine Trainingsgruppe von fünf Gehern, aber davon bin ich mit Abstand der Beste. So habe ich zwar fünf Leute, die ich am Start sehe, aber wenn ich mein Tempo mache, sehe ich sie frühestens im Ziel wieder. Eigentlich bräuchte ich einen Trainingskollegen, der noch besser ist als ich, an dem ich mich hochziehen kann.
Also brauchen Sie einen Läufer als Trainingspartner?
Nein, es gibt ja schon noch einige Geher in der Welt, die schneller sind. Und ich habe gehört, dass es bei den Russen ähnlich wie bei den kenianischen Läufern ist, wo einfach mal 20 Leute beim Training sind.
Und Sie würden noch Russisch lernen. Was sind Ihre nächsten sportlichen Ziele?
Der Fokus liegt bereits auf den Olympischen Spielen in Rio. Im nächsten Jahr ist zwar noch die EM, aber die hat bei mir persönlich nicht so einen großen Stellenwert, weil sie zwar hart, aber nicht lukrativ ist. Mit einem guten Ergebnis würde ich höchstens einen Sponsor finden, was als Geher ungemein schwierig ist. Man ist auf Leute angewiesen, die sagen: „Ich habe höchsten Respekt vor euch.“
Wie wichtig ist es als Leistungssportler in Deutschland, neben dem Sport eine berufliche Ausbildung zu machen? Denn den Luxus, nur Sport treiben zu können, kann sich kaum ein Leichtathlet leisten - und ein Geher sicher gar nicht.
Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, dass es unglaublich wichtig ist. Das Gehen ist so zeitaufwendig, dass ich an einigen Tagen fünf bis sechs Stunden trainiere. In diesen Ablauf mit Training, Regeneration, Physiotherapie auch noch eine Ausbildung zu integrieren, ist schwierig – und in meiner Sportart fast nicht möglich. Es ist daher die Frage, was wichtiger ist: Nur Teilnehmer bei Olympischen Spielen zu sein und nie eine Medaille zu gewinnen, dafür aber parallel zum Sport eine Ausbildung absolvieren. Oder als Sportler mehr riskieren und alles auf die Karte „Sport“ zu setzen.
Was würden Sie jungen Talenten raten?
Jeder muss selbst wissen, was er macht. In Ausdauersportarten wie dem Gehen geht es jetzt in meinem Alter mit 24 Jahren erst richtig los. Das Problem ist in Deutschland, dass man als junger Sportler mit 16 oder 18 Jahren nach Abschluss der Schule nicht die Zeit hat, sich so dem Training zu widmen, wie es der Leistungssport verlangt. Man bekommt nicht die Förderung, die man braucht, ehe es überhaupt richtig losgeht. Ich kann jungen Leuten nur raten, erst eine Ausbildung zu machen und sich sportlich irgendwie über Wasser zu halten.
Das Gespräch führten Peter Könnicke und Luisa Müller
Christopher Linke startet für den SC Potsdam und gilt seit Jahren als bester deutscher Geher. Neben nationalen Meistertiteln zählen zwei sechste Plätze beim Weltcup Gehen im russischen Saransk über 50 km sowie beim IAAF RW Challenge über 20km in Taicang in China im vergangenen Jahr zu den bislang größten Erfolgen. Sein 9. Platz bei den Weltmeisterschaften in Moskau vor wenigen Tagen bedeutet den Anschluss an die Weltspitze. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London belegte Linke im 50km-Wettbewerb den 24. Platz. Zu Hause ist Linke in Werder/Havel. Sein Trainer in Potsdam ist der mehrfache olympische Medaillengewinner Ronald Weigel.
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