INTERVIEW: „Wer gebärdet, ist ja deshalb nicht gefährlich“
Herr Lange, sind Sie schon mal an einer Gegensprechanlage gescheitert?Ja.
Stand:
Herr Lange, sind Sie schon mal an einer Gegensprechanlage gescheitert?
Ja. Bei der Polizei, da habe ich immer wieder geklingelt und keiner hat aufgemacht.
Was haben Sie dann gemacht?
Dann hab ich einfach dauergeklingelt, bis jemand kam. Ich war ganz schön sauer – aber der Mann hat sich bei mir entschuldigt. Solche Anlagen sind übrigens heute mehr als früher problematisch: Zu DDR-Zeiten waren Türsummer beispielsweise noch lauter und haben vibriert, das konnte man spüren und die Tür dann aufdrücken. Heute ist die Technik ausgefeilter und alles viel leiser.
Stellen Sie sich dann so vor: Entschuldigung, ich bin gehörlos?
Ja, ich mach das so, und wenn die Verständigung dann trotzdem nicht klappt, hole ich Zettel und Stift raus. Es hilft, wenn die Leute langsam und deutlich sprechen und mich dabei ansehen, dann kann ich von den Lippen ablesen. Aber wenn die Verkäuferin immer runter guckt oder jemand einen Bart hat, ist das schwierig. Mein ehemaliger Chef hatte einen, da musste ich mich immer runterbeugen und ihm von unten ins Gesicht schauen (lacht). Die Leute sind ja ohnehin schnell verunsichert im Umgang mit Gehörlosen, besonders wenn jemand laut und ausdrucksstark gebärdet – da gibt es durchaus Unterschiede, wie bei sprechenden Menschen. Aber wir sind ja deshalb nicht gefährlich.
Ist es anstrengend, mit Hörenden zu kommunizieren?
Ja, manchmal. Ich habe eigentlich mehr gehörlose Freunde. Es gibt Leute, die sich um Kontakt, um Kommunikation bemühen, aber das ist nicht einfach. Dann steht man in einer Gruppe und kriegt nichts so richtig mit.
Müssen sich Hörende und Gehörlose einfach besser kennenlernen?
Ja, im Grunde stimmt das. Wir müssen aufeinander zugehen. Hörende sollten keine Angst haben und versuchen, mit uns zu kommunizieren. Unsere Bitte dabei ist, dass der Hörende realisiert, dass wir einfach nicht hören können, weil genau das die Behinderung ist. Das ist eine Grenze, aber es gibt auch einen Spielraum, innerhalb dessen wir uns begegnen und zueinanderfinden können. Unser Hauptproblem ist, dass für uns die Teilhabe am öffentlichen Leben unmöglich ist. Wer nicht hören kann, kann keine kulturellen Veranstaltungen, keine Vorträge, keine Wahlveranstaltungen besuchen. Da sind wir überall nicht dabei. Wir wünschen uns beispielsweise schon lange, dass der RBB einmal am Tag eine halbe Stunde Regionalnachrichten in Gebärdensprache sendet. Wir zahlen schließlich alle Rundfunkgebühren.
Was müsste in Potsdam denn anders werden?
Viele von uns würden gern, nicht nur zur Weihnachtszeit, Theatervorstellungen mit Gebärdendolmetscher besuchen. Oder ins Kino gehen: Das gibt es in Potsdam gar nicht, Filme mit Untertiteln oder Gebärdenübersetzung. Dabei ist technisch so viel Neues auf dem Markt. Die Biosphäre hat einen Audioguide mit einer App in Gebärdensprache, das ist großartig. So was sollte es öfter geben, auch in anderen Museen. Im Ausland ist so was schon viel verbreiteter. Ich hab manchmal das Gefühl, die sind da allgemein viel entspannter im Umgang mit Menschen mit Behinderungen. Da brauch ich im Café keinen Zettel, da klappt das Bestellen auch so. Ist doch komisch.
Die Fragen stellte Steffi Pyanoe
Joachim Lange (69)
ist gehörlos und arbeitete jahrelang als Ingenieur. Lange ist Vorsitzender des Kreisverbands der Gehörlosen Potsdam und Umgebung e.V.
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